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Die Spielercharaktere

Die Spielercharaktere sind zwei Kinder, Cassio und Consuela, die zuerst auf der Straße leben, dann sehr jung in die lokale Diebesgilde La Gazza aufgenommen werden und sich dort einen Namen machen.    

Hier steigen wir ein. Sprich: frühreife Kinder um die 12, die bereits einige Erfahrung in der rauen Welt gesammelt haben und die La Gazza im Grunde als Ersatz für ihre Familie betrachten. Ein paar Kinder-Module sollen zeigen, ob sie sich zwischen all den anderen Möchtegern-Dieben distinguieren können.

In der Vorgeschichte erzähle ich davon, was den Kindern vor der Diebesgilde widerfahren ist. Beide wuchsen zunächst in einem Waisenhaus in Castello auf, dem Ospedale della Pietà. Dies wurde ca. 1335 vom Franziskaner Frau’ Petruccio d’Assisi gegründet. Das Haus selber entstand in den Jahren ab 1346. Es diente erst für kurze Zeit als Unterkunft für Kreuzfahrer, wurde dann aber dem Franziskaner für dessen Zwecke überlassen.    

Beide können sich an ihre Ankunft dort nicht erinnern, ebenso wenig an irgendetwas davor. Irgendwann im Laufe der Zeit haben sie sich dort angefreundet. Abweichend von den historischen Fakten werden hier nicht zwei unterschiedliche Häuser für Jungen und Mädchen betrieben. Consuela vertrieb einen anderen Jungen, als dieser Cassio das Essen wegzunehmen versuchte. Er wurde dadurch ihr loyaler Freund.    


Consuela fand eine Ersatzmutter bei einer der im Waisenhaus arbeitenden Frauen, der dicken Rosana. Sie ging häufig mit ihr hinaus und sammelte Kräuter für die Küche und für Hausmittelchen. So erhielt sie ein Grundverständnis für Kräuter, die in „magischen“ Anwendungen nützlich sind.     

Aus Consuelas Sicht nahm Rosana sie unter ihre Fittiche, da sie sie für „empfänglich“ hielt. Consuela vertraute sich ihr an und erzählte, dass sie manchmal Dinge sah. Sie beschrieb Auren, Geister, etc. (Sphärenmagie, Mind, Spirit, ggfs. Entropy). Rosana beruhigte sie und erklärte, dass diese Gabe sie zu etwas Besonderem mache, dass der Herr sie beschenkt habe. Gleichzeitig warnte sie Consuela davor, die Gabe auszuplaudern.

Sie war eine Frau mit außerordentlichem Verständnis für allerlei Dinge, die das Übernatürliche betrafen. Sie klärte Consuela über Namen und deren Bedeutung auf. Sie wusste einiges über Symbolik (Wissen: Enigmas). Auch die Wichtigkeit, gewisse Dinge auf eine bestimmte Art und Weise zu tun (Wissen: Rituale), war ihr bekannt. All das gab sie an Consuela weiter. Es mag gut angehen, dass Rosana nicht zufällig über Consuela wachte.       

Nach einiger Zeit verschwand Rosana. Nicht auszuschließen, dass die Vampire dafür verantwortlich waren, welche sich an den Kindern labten.

Ungefähr zur gleichen Zeit begann Consuela sich eine Art Konstrukt für ihre Erinnerungen aufzubauen. Dies ist ein langwieriger Mind-Effekt, der dazu führt, dass sie jede Erinnerung in einer Gedankenbibliothek speichert und abrufen kann. Doch sie führt ihn so allmählich aus, dass es für sie nichts mit Magie zu tun hat. Ein sehr heller Geist könnte so etwas auch tatsächlich ohne Magie vollbringen.

Nach ihrem tatsächlichen Erwachen wird sie ihre Traum-Freundin dort sehen (s. unten Avatar). Um in den Palast zu gelangen, kann sie einen (zufälligen) Mind 1 Effekt wirken und meditieren (Intelligenz + Meditation, Diff. 6). Oder Lucid Dreaming.


Das Besondere an dem Waisenhaus war, dass man dort eine musikalische Erziehung erhielt, ähnlich wie in einem Konservatorium. Es wurde täglich im Chor gesungen. Dazu brachte man den Kindern sogar das Lesen bei.

Es gibt derzeit neben einigen kleineren nur zwei größere Ospedale, das Ospedale della Pietà und das Ospedale di Lazzaro dei Mendicanti auf der Insel San Lazzaro. Letzteres ist gleich nördlich des Lazzaretto Vecchio. Beide sind neben ihrer Eigenschaft als Waisenhäusern und Krankenhäusern die möglicherweise größten Zentren der Musik ihrer Zeit.

Leiter des Chores ist stets ein Mann mit dem Titel Maestro di coro. Zurzeit Arco di Faro.


Während Cassio das Leben dort schätzte und sein Bestes gab, um den Lehrern zu gefallen, hatte Consuela damit Probleme. Zwar gefiel ihr das Singen zunächst, doch nach einiger Zeit begann sie dabei Schwindelgefühle zu empfinden. Sie hörte Stimmen im Chor, die nicht von den Kindern kamen (Himmlische Stimmen). Diese wurden mit der Zeit stärker und es kamen sich wiederholende Halluzinationen hinzu. Sie versuchte sich nichts davon anmerken zu lassen, doch war dies unter den Augen der priesterlichen Lehrer nicht einfach. Die Anfälle wurden während des Chores immer regelmäßiger und heftiger. Sie hatte große Angst vor dem, was noch passieren würde. Also beschloss sie zu fliehen. Ihr Freund Cassio wollte sie auf keinen Fall alleine lassen. Der Junge besitzt ein ausgeprägtes Pflichtgefühl gegenüber Personen, die er sich nach unergründlichen Maßstäben aussucht. Consuela ist so eine Person.

Ein Vampir nutzt das Waisenhaus als Speisekammer und nascht wiederholt an den Kindern. Es ist ein Ventrue namens Markus, ein nicht allzu mächtiger Geselle. Markus ist im Alltag ein angesehener Nobile und Mitglied des Senats. Er gehört zu den größeren Unterstützern des Ospedale. Er ist als Ventrue auf kindliches Blut angewiesen. Dadurch wurden die meisten Kinder gefügig. Consuela empfing durch ihre Sehergabe Warnungen und versteckte sich jedes Mal erfolgreich (Arcane, Entropy, Schutz durch Geister – pos. Spirit Magnet). Sie hatte zwar keine Ahnung, wer dieser Fremde war. Aber sie erkannte leicht, dass es nicht einfach nur ein Mensch sein konnte (Spirit/Auren).

Da der Junge in einer anderen Kammer schlief, wusste sie zunächst nicht, ob er nicht auch unter den Einfluss des Wesens gefallen war. Bei den gefügig gewordenen Kindern hätte sie eine Veränderung in der Aura gesehen, doch zu diesem Zeitpunkt beherrschte sie die Gabe noch nicht so gut. Ihre Befürchtungen erwiesen sich indes als unbegründet. Cassio schien nie behelligt worden zu sein.

Sie liefen fort und landeten auf der Straße. Von dort gelangten sie etwas später in die Arme der La Gazza – sie waren gerade einmal 9 bzw. 10 Jahre alt.

Es war in dieser Zeit, da sie eines nachts nahebei in den Kanälen ein Platschen hörten. Als ein zugeschnürter Sack vorbeitrieb, hörten sie ein Jaulen darin und Cassio schaffte es mit viel Einsatz den Sack an Land zu bringen. Er öffnete den Sack und heraus kam ein Wurf schwarzer Hundewelpen. Sie sahen sich um, wer die Tiere zum Ertränken ins Wasser geworfen haben könnte, doch alles war still und leer. Als sie erneut in den Sack sahen, saß darin nur ein einzelner, pechschwarzer Hund, der sie wachsam ansah. Dieser Hund folgte Cassio seither. Es handelt sich um einen Familiar, der in verschiedenen Hundeformen erscheinen kann. Er wechselt die Gestalt, wie es ihm gerade passt.

Cassio findet Halt in der Diebesgemeinschaft. Innerlich suchte er stets etwas, dass ihm seinen Weg vorgibt (C. begann mit Auftreten und Natur: Gefolgsmann/Märtyrer). Die rigide, wenngleich verdrehte Struktur, die ihnen der Krächzer bietet, passt ihm sehr gut. Er „glaubt“ eine lange Zeit innbrünstig an den Krächzer und dessen „Mission“.        

Diese fast sturköpfige Treue (Iron Will) wurde noch nicht vom Krächzer zur Notiz genommen. Die anderen Kinder halten den Jungen entweder für einen Idioten, weil er die Selbstsucht des Krächzers nicht erkennen kann, oder für einen Schleimer, der nach Bevorzugung lechzt.

Der Junge hat inzwischen bestimmte kleinere Talente entwickelt. Da ist zunächst die Fähigkeit des Belauschens (Forces 2). Er kann außerdem sehr leise sein, wenn es erforderlich ist – aber das strengt irgendwie auch an. Schließlich haben ihm Hitze und Kälte weniger an als anderen.

Consuela versuchte zunächst nach der Flucht aus Angst vor ihren Visionen nicht mehr zu singen. Doch immer wieder fing sie unbewusst damit an. Sie begann daher an abgelegenen Orten damit zu experimentieren, etwas, das sie ohne Rosannas Lehren niemals versucht hätte. Zugleich begann sie damit, ihren Gedächtnispalast aufzubauen.


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Cassios Einstiegsgeschichte

Der Geist der Weihnacht wehte leise durch die Häuser der Lagunenstadt. Tiefe Dunkelheit lag nach dem Fest über den goldenen Löwen des Markusplatzes, den herrlichen Palazzi des Dogen und der vielen Nobile, den prunkvollen Kirchen der Padre, Reverendo und Monsignori sowie den geräumigen Plätzen des einfachen Volkes, die nun aber, in frommem Eifer fein geschmückt, in den frühsten Stunden des Morgens leer und verlassen dalagen. Die Fischer würden noch hinausfahren und die Bäcker ihre Brote in die Öfen schieben, zu dem beständigen Gluckern und Plätschern der Kanäle sollten sich noch nach und nach neue Geräusche mischen und den Tag einläuten, der lärmende Markt würde bald öffnen und die Händler ihre Läden aufschließen, ehe schließlich die Finsternis im Osten allmählich dem Morgenrot weichen sollte.

Auf den Straßen hallten in der nächtlichen Dunkelheit einzig die gelegentlichen Schritte der Nachtwache, in den reicheren Sestiere mehr, in den ärmeren weniger. In der Schattenstadt, die ganz im Südosten gelegen war, hörte man die mutigen Männer der Quarantia kaum, und falls doch, dann jedenfalls nur aus der Ferne.

Außerhalb der Sestiere lagen noch zahlreiche andere Inseln in der Lagune. Manche davon waren bewohnt, andere glichen mehr einem Haufen Dreck, der im Wasser schwamm. Auf den besiedelten fanden sich meist Fischerdörfer, sowie fast immer wenigstens eine kleine Kirche oder eine Kapelle. Die größte dieser Inseln war zweifellos Murano, die Wiege der Glaskunst, doch auch die größeren Friedhöfe und nicht zuletzt das Lazzaretto Vecchio, das Pesthaus, fand man verstreut auf den kleineren Inseln der Lagune. Letzteres lag auf einer Insel nicht allzu weit südlich der Schattenstadt und nur einen guten Steinwurf vom Lido entfernt, wo es vor rund einem halben Jahrhundert im Namen des Dogen Andrea Dandolo errichtet worden war, als das Große Sterben so sehr in der Serenissima wütete, dass man die Toten auf den Plätzen zu Hügeln gestapelt sah und diese aus Platzmangel sogar unter Wegen oder den eigenen Häusern verscharrt wurden. Als die Kanäle drohten wegen der darin schwimmenden Leichen für die Gondeln unpassierbar zu werden, veranlassten der Doge und seine Savi, seine Weisen, deren Abtransport auf entferntere Inseln der Lagune, wie San Marco in Boccalama und San Leonardo Fossamala. Um im Kampf gegen die Seuche endlich die Oberhand zu gewinnen, sollten jedoch auch die Kranken aus der Stadt hinausgebracht werden, und so ließ er das Pestkrankenhaus errichten, weit genug fort, damit die Gesunden in der Stadt von der Krankheit verschont blieben, doch nah genug, um die Infizierten schnell dorthin schaffen zu können. Später nannten sie den Ort die Insel der Verdammten. Wer einmal das Pesthaus dort betrat, durfte nicht mehr hinaus.

Das Lazzaretto Vecchio war ein Gebäude wie ein riesiger Stall mit langen Korridoren und über hundert kleineren Sälen dazwischen, perfekt für seinen Zweck, vollkommen in seiner Unansehnlichkeit und inzwischen verlassen, nachdem die erste Pestwelle des Jahres 1348 schließlich verebbt war. Selbst die kleine Kirche der Heiligen Maria von Nazareth, die den Todgeweihten der Insel Trost spenden sollte, war lange schon aufgegeben worden. Als die Venezier die Pest zum ersten Mal besiegten, wollten sie sie nur noch vergessen, sie und alles, was aus ihr geboren wurde.

Die Ruhe war jedoch nur von kurzer Dauer, denn auch in den folgenden Jahrzehnten zeigte die Krankheit regelmäßig wieder ihre hässliche Fratze, wenngleich nie mehr in dem Maße, wie bei ihrem ersten Auftreten. Und doch war niemand nach jener ersten, schlimmsten Pestwelle noch bereit, die verlassenen Korridore des Pesthospizes erneut zu betreten. Man erzählte sich, in seinen Hallen vernehme man noch heute leise das Jammern und Klagen der Sterbenden. Und das die Toten dort nachts umherschlichen, um nach einem Weg über das Wasser in die Stadt zu suchen, wo sie unter die Lebenden und in ihre einstigen Häuser zurückkehren wollten. Dutzende Augenzeugen wollten beobachtet haben, wie nachts geisterhafte Lichter über die Insel wanderten. Manche berichteten sogar, dass ein höllisches Leuchten über der ganzen Insel gelegen habe. Die Schiffer erzählten oft mit leichenblassem Gesicht nach nächtlichen Fahrten in der Umgebung der Insel, wo sie von dort die teuflischsten Geräusche vernommen hatten. Manch einer schwor, es müsse das Kreischen und Quieken der gequälten Seelen im Fegefeuer gewesen sein. Meist wurde darauf mit zitternden Händen ein Krug geleert, um die Nerven zu beruhigen. Ab und an verschwand sogar ein Fischer, der aus schierem Leichtsinn oder weil der Alkohol ihn übermütig werden ließ, der Insel zu nahe gekommen war. Und so blieb das alte Gemäuer leer und verlassen zurück.

Der Himmel war noch nachtschwarz, als Cassio erwachte. Die Luft im Saal war bitter kalt, denn die Fensterluken konnten mit ihren Lumpenvorhängen hier und den morschen Brettern dort die eisige, feuchte Dezemberluft nicht fernhalten. Die Wärme der zahlreichen schlafenden Kinderkörper hatte der Herrschaft des Winters in den endlosen, verfallenen Gängen des ehemaligen Pesthauses, wo nun die La Gazza Ihren Unterschlupf fanden, nichts entgegenzusetzen. Cassio durchlief ein Zittern, welches bis in sein Innerstes zu reichen schien.

Er war sehr unempfindlich, wenn es um Kälte ging, aber diese feuchte Luft war selbst ihm nicht mehr angenehm. Seufzend drehte er sich unter der fadenscheinigen Decke, die kaum etwas von seiner Körperwärme zurückhielt. Er sehnte sich nach etwas mehr Wärme in seinem Bett. Vor ein paar Nächten hatte er angefangen in einen der Pfosten seiner schmalen Liege ein Symbol einzuschnitzen, denn er hatte es immer wieder geträumt, dieses Zeichen, und im Traum hatte es ihm stets seinen Wunsch nach Wärme erfüllt. Es erinnerte ein wenig an den schrägen Kopf einer Laute, bei welcher eine Saite ein wenig zu lang war. Ihm erschien es, als erinnere er sich an dieses Zeichen, doch woher sollte eine solche Erinnerung stammen? Wahrscheinlich war es bloß eine dumme Einbildung. Dennoch hatte er die vorsichtige Schnitzerei fortgesetzt. Seine Vorstellungskraft hatte das Symbol mit einer magischen Bedeutung versehen. Es sollte für die Kraft des Feuers stehen, für angenehme Wärme, für leuchtende Glut, für tanzende Flammen. Wenn es vorher bedeutungslos gewesen war, so hatte wenigstens seine Vorstellung es nun mit einer Bedeutung gefüllt. Und er spürte, dass es die Bedeutung angenommen hatte. Cassio legte sacht seine Hand auf die Linien und versuchte ihre Berührung in sich aufzunehmen, sie mit seiner Haut zu lesen. Er malte sich das Symbol in seinem Verstand aus und füllte es mit seinem Willen, seinem Wunsch nach Wärme, ja, nach Hitze! Hitze, die diese gottserbärmliche Kälte endlich vertrieb und ihm wieder richtiges Gefühl in die fast schon tauben Glieder gab. Lange Momente vergingen, doch nichts geschah.

Enttäuscht zog er seine Hand zurück. Es war bloß eine Träumerei gewesen. Er hatte sich das Zeichen wohl nur eingebildet, weil ihm die Kälte ins Hirn gekrochen war.

Und doch gab es Magie. Er wusste es besser als jeder andere, denn er hatte sie täglich bei sich. Mit den Fingern strich er über seine Wange, über die Maske, die sein Gesicht zugleich verbarg und auch vortäuschte. Sie war das Einzige, was er noch von seinen Eltern hatte. Wenn er sie abnahm, war sie nicht mehr als eine weiße, ovale Schale mit geschwungenen schwarzen Linien als Augen und Stirnfurchen und roten Flammensymbolen über dem mundlosen Gesicht. Cassio hatte keine Ahnung, woraus sie bestand. Es war ein dünnes doch zugleich sehr hartes Material. Es erinnerte ihn an eine Muschelschale. Setzte er sie auf, konnte er sie fühlen, und zwar nicht nur mit seiner Haut, sondern irgendwie auch „in“ seinem Kopf. Sie tauchte in seinem Geist auf, wo er sie mit seinen Gedanken, seinem Willen, berühren konnte. Sobald er das tat, konnte er sie verschwinden lassen. In seinem Geist war sie dann noch da, doch auf seinem Gesicht wurde sie unsichtbar.

Das war echte Magie, die Magie seiner Vorfahren. Nicht das Gefuchtel und Getue, das von manchen Kerlen in der Stadt benutzt wurde, um den Leichtgläubigen die Zecchinen aus der Tasche zu locken. Als seine Mutter noch am Leben war, hatte sie ihm erklärt, dass sein Vater ein Tohunga, ein mächtiger Zauberer gewesen sei. Aber augenscheinlich hatte ihn das auch nicht davor bewahrt, getötet zu werden, als Cassio noch ein Säugling war. Er hatte keinerlei Erinnerungen an seinen Vater. Nur die Maske war ihm verblieben, eine Art Talisman zu seinem Schutz. Denn die Maske verbarg sich nicht nur selbst auf seinem Gesicht, sie konnte auch sein Moko verschwinden lassen, die Narbenzeichen in seinem Gesicht, welche in dieser Stadt, die so weit von seiner Heimat entfernt zu sein schien, niemand außer ihm trug. Seine Mutter hatte ihn gelehrt, dass es klug war nicht zu sehr aufzufallen, darum benutzte er die Maske ununterbrochen, um sein Aussehen dem der Menschen um sich herum anzupassen.

Inzwischen war ihm klar geworden, dass es in Venedig etwas mehr brauchte, um sich von der bunten Masse abzuheben, denn die verschiedensten Menschen aus aller Herren Länder strömten in diese Metropole. Nicht wenige von Ihnen zierten ihre Gesichter mit Zeichen der einen oder anderen Art oder mit Schmuck, besonders die Menschen aus dem Süden. Er hatte allerdings noch nie ein anderes Moko gesehen, weswegen er es lieber weiterhin vermied, seines offen zur Schau zu tragen.

Gestern, am Heiligen Abend, hatten die Diebe ein Fest gefeiert. Es hatte so reichlich zu essen gegeben, dass er noch immer voll war. Fettes Fleisch, warmes Brot, herrlichen Käse und würzige Sülze. Sonst bestand das Abendessen aus eher unspektakulären Dingen, wie Fischsuppe oder Brei. Cassio entschied sich noch ein wenig liegen zu bleiben und den Erinnerungen an das gute Essen nachzuhängen. Seufzend rollte er sich tiefer in die dünne Decke ein. Die Sonne konnte sowieso noch Stunden auf sich warten lassen, weswegen er es mit dem Aufstehen nicht sonderlich eilig hatte.             

Der alte Jaquopo, das Oberhaupt der La Gazza, würde sie dennoch nicht den ganzen Tag faul in den Betten liegen lassen, das war gewiss. Jaquopo, oder der Krächzer, wie die anderen ihn gerne hinter seinem Rücken nannten, war ein guter Mann. Er führte zwar eine Diebesgilde aus Kindern an, aber er half ihnen auch, sich selbst zu helfen, gab ihnen zu Essen und eine Unterkunft. Er hatte sie von der Straße aufgelesen und sorgte nun für ein geordnetes Leben sowie für Schutz. Cassio war ihm dankbar dafür und tat stets sein Bestes, wenn er auf Fang ging.       

Sie mussten für Jaquopo und die Gemeinschaft stehlen, was ein böses Ende haben konnte. Denn die Wachmänner der Quarantia hatten harsche Methoden, um mit Dieben umzugehen. Nicht wenige Kinderhälse waren schon wegen Diebereien in der Schlinge des Henkers gelandet. Das war eben das Risiko, das sie füreinander eingingen, die Gefahr, die sie füreinander auf sich nehmen mussten.         

Die La Gazza war für Cassio wie eine große Familie. Sie ließ ihre Mitglieder selbst auf deren letztem Gang nicht ganz allein. Immer waren in der Masse des zuschauenden Pöbels einige der Elstern dabei, wenn man einen aus ihren Reihen aufknüpfte. Und die Menge ging ärmer nach Hause, als sie zur Hinrichtung gekommen war. Cassio hatte ein Gerücht gehört, wonach Jaquopo das so ergaunerte Geld irgendwie nutzte, um das Andenken der Toten zu ehren. Er hatte keine Ahnung wie das gehen sollte, doch ihm gefiel der Gedanke.

Stehlen war riskant, doch war diese Gefahr im Grunde nichts Neues. Er und Consuela hatten schon vorher stehlen müssen, mit dem Unterschied, das sie nun regelmäßig satt wurden. Hungrig blieben hier nur die Kinder, die nichts mitbrachten.

An seine frühe Kindheit hatte Cassio kaum richtige Erinnerungen, obwohl er oft Stunden damit verbrachte in seinem Kopf nach irgendwelchen Erinnerungen zu forschen. Manchmal erschien ihm in seinen Träumen das Gesicht einer Frau, vielleicht seiner Mutter, doch mit dem Erwachen verschwanden die Eindrücke jedes Mal, wurden von den Bewegungen seiner Gedanken weggewaschen, wie Fußabdrücke im Ufersand.

Zu seinen frühesten Erinnerungen zählte eine besonders schmerzvolle. Sie handelte von einem Riesen mit dorniger, roter Haut, der ihn mit seinen gewaltigen Händen ergriffen hatte. Wie stählerne Klammern umfassten die Pranken seine Oberarme und zerquetschten sie fast. Durch einen Nebel aus Agonie vernahm er irgendwo hinter der Gestalt die erschrockenen Rufe einer wohlbekannten Frauenstimme. Cassio wehrte sich verzweifelt, als er hörte, wie seine Mutter immer panischer klang. Er zappelte und wand sich und bekam schließlich soviel von seinem Arm frei, dass er den Unterarm bewegen konnte. Sofort hieb er nach dem Gesicht seines Peinigers, um sich loszumachen. Ein merkwürdiger, scharfer Gestank drang da an seine Nase und ein ohrenbetäubender Laut, der kaum noch einem Menschen zuzurechnen war, ließ seine Glieder zittern und trieb ihm Schwärze vor die Augen. Im Fallen wunderte er sich noch, wer da so geschrien hatte und warum.

Seine nächsten Erinnerungen stammten schließlich von einem Waisenhaus, dem von Geistlichen geleiteten Ospedale della Pietà. Hier hatte er Consuela kennen gelernt. Sie hatte ihm geholfen, als einer der größeren Jungen ihm einen Apfel abzunehmen versuchte, der sein Abendbrot darstellte. Er selber musste etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, sie vielleicht zwei Jahre älter. Sein damaliger Tormentor, ein Bursche namens Pepe, war mit seinen gut neun Jahren und einer kräftigen Statur wie eine Naturgewalt gewesen, der man sich unterwarf, wenn man an seiner Gesundheit hing.   

Es war das erst Mal gewesen, dass er Consuelas erstaunliche Art mit Menschen umzugehen kennen gelernt hatte. Sie konnte unglaublich überzeugend sein, wenn sie es darauf anlegte.

Cassio wandte den Kopf zu dem Mädchen im Nachbarbett, welches mit halb offenen Mund fest schlief und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ein kaum sieben Jahre altes Mädchen, das einem neunjährigen Jungen so sehr zugesetzt hatte, dass der weinend davon lief. Er hatte sie gleich gemocht. Seitdem waren sie praktisch unzertrennlich. Auch wenn Consuela meistens ziemlich barsch war, hatte sie in seinen Augen jedoch eine gute, sogar eine feine Seele.

Als er sie eines Abends in das Geheimnis seiner Maske einweihte und ihr sein wahres Gesicht offenbarte, erschrak sie nicht einmal. Ihre großen Augen leuchteten, ihr Mund formte ein stummes "Oh". Dann fuhr sie die Linien seines Moko sanft mit einer Fingerspitze nach und lächelte so strahlend, als habe er ihr einen gedeckten Tisch mit Leckereien nebst einer Kiste voll Gold gezeigt. Als Cassio die Maske wieder aufsetzte, stellte er überrascht fest, dass sie sogar enttäuscht wirkte. Wann immer sie alleine waren, legte er darum seither die Maske für sie ab.

Zu Consuelas Angewohnheiten gehörte es, niemandem länger in die Augen zu blicken. Doch an jenem Abend blickte sie ihn direkt an, und plötzlich war er es, der ihren Blicken auswich. Es war, als hätte er Angst in einen tiefen Schacht zu fallen. Ihm fehlte jede Erklärung dafür, doch heute wusste er, dass es all den anderen Kindern und sogar den Erwachsenen ebenso ging.

Das Ospedale war ein ungewöhnlicher Ort gewesen. Man hatte man sie das Lesen und das Schreiben sowie nebenbei ein wenig den Umgang mit Zahlen gelehrt. Die Lehrer waren oft unnachsichtig in ihren Methoden gewesen, doch Cassio wusste, dass niemand sonst Zeit und Mühen auf dreckige Straßenkinder verschwendet hätte. Die Lehrstunden erhielten sie freilich nicht aus Herzensgüte, sondern man erwartete von ihnen, dass sie dadurch die zahlreichen Liedtexte schneller lernen würden, welche sie für den Chor des Ospedale beherrschen mussten. Das Zählen ermöglichte ihnen, die richtigen Texte in den dicken Chorbüchern zu finden und war auch Voraussetzung für das Verständnis der Noten.

Am Ospedale drehte sich nämlich alles um den Gesang, und damit um den Chor. Manche hohen Herren spendeten der Kirche eine Menge Zecchinen dafür, dass die Kinder zu ihrer Unterhaltung sangen, zu den Festtagen bei der Messe, auf Plätzen oder öffentlichen Veranstaltungen und gelegentlich auch zu den privaten Feiern manch hoher Familien.

Die Worte, Lieder und Melodien kamen Cassio anfangs noch sehr verwirrend vor, doch er gewöhnte sich an sie und fand schnell gefallen an den häufigen Übungen. Wenn ihre Stimmen sich gemeinsam im Chor erhoben, verband sie alle etwas und er fühlte sich den anderen näher. Consuela besaß eine außergewöhnliche Gesangsstimme, hell und klar und durchdringend stach sie ihren Zuhörern direkt ins Herz. Kannte man den rüden Ton, mit dem sie üblicherweise alles und jeden um sich herum anbellte, war es schon ein wenig verwunderlich, wie ihre Stimme eine solche Wandelung vollziehen konnte. Sie liebte das Singen und andere bemerkten ihre Hingabe. Umso tragischer war es, als ihr das Singen nach einigen Jahren immer mehr Schwierigkeiten bereitete.    

Anfangs wurde ihr im Chor schwindelig. Dann fing sie an abrupt irgendwelche unzusammenhängenden Sachen zu sagen, die niemand recht verstand. Später erzählte sie Cassio davon, dass sie beim Singen häufiger und häufiger verwirrende Dinge sah, nur um anschließend festzustellen, dass es sich um Einbildungen oder Tagträumereien gehandelt hatte. Sie berichtete von unheimlichen Geräuschen, die sie während der Proben gehört haben wollte. Flüsternde Stimmen hätten ihr abscheuliche Dinge zugeraunt. Doch niemand außer ihr, auch nicht Cassio, hatte etwas gehört. Da es Eignung für und Teilnahme am Chor waren, die den Kindern ihren Platz im Ospedale sicherten, versuchte sie all dies zu ignorieren und einfach weiter zu singen. Cassio erinnerte sich gut an den Tag, als mitten in der Probe die Flammen der kleinen Kerzchen im Chor für einen Moment blassgrün in die Höhe schossen. Es war wohl nur gut gewesen, dass die Chorleiterin und die meisten Kinder es nicht gesehen hatten. Ihm wurde unwohl dabei, wenn er sich überlegte, was sonst wohl geschehen wäre.       

Die Zwischenfälle mehrten sich trotz Consuelas Bemühungen, während der Proben konzentriert zu bleiben. Es lag auf der Hand, dass sie unter diesen Umständen nicht mehr lange im Chor und damit im Waisenhaus bleiben konnte.          

Consuelas Gesang war aber nicht das einzige Problem gewesen. Sie erzählte ihm eines Tages von einem Fremden, der in ihrem Dormitorium aufgetaucht war, als alle außer ihr geschlafen hatten. Sie konnte ihm nicht recht erklären, was der Fremde dort getan hatte, aber sie hatte sich vor ihm gefürchtet. Und Consuela fürchtete nach Cassios Erfahrung sehr wenig.

Cassio hatten die Worte seiner Freundin so bewegt, dass er selber kaum mehr schlafen konnte, sondern nachts meist wach oder doch halbwach dämmernd da lag und die Türe beobachtete. Und tatsächlich öffnete sich eines Nachts auch die Türe seines Schlafsaals. Cassio, der vielleicht aus einem Instinkt heraus wach geworden war, hatte im ersten Moment geglaubt, es sei eine der Schwestern, die ihnen noch einen Scheit in den Ofen legen wollte. Doch es war die große, hagere Silhouette eines Mannes gewesen, der sich mit behutsamen Bewegungen leise wie eine Katze in den Schlafsaal schlich. Obgleich er im warmen Bett lag, stellten sich Cassio die Nackenhaare auf. Es musste die Gestalt sein, die schon in Consuelas Saal gekommen war. Mit Mühe atmete er ruhig und stellte sich schlafend, war aber jederzeit bereit aus dem Bett zu springen und die Beine in die Hand zu nehmen.        

Etwas stimmte hier nicht. Ihn machte besonders stutzig, dass der Eindringling gute, ja schon durchaus feine Kleidung trug, mit einem Saum aus Silberfaden und feinen Knöpfen. Sein ungutes Gefühl wurde zu kalter Angst, als ihm plötzlich noch etwas anderes auffiel. Die Schatten im Raum bogen sich zu dem Fremden hin und umhüllten ihn, umschmeichelten ihn wie einen Liebhaber und sorgten dafür, dass man ihn nur schlecht erkennen konnte. Und doch schien es, als würden sie sich vor Cassios Blick ein wenig fortbiegen, wie Nebel vor einer Kerzenflamme. In dieser unnatürlichen Verkleidung schlich der Mann in den Schlafsaal und betrachtete die Jungen in ihren Betten. Zitternd, die Decke bis ans Kinn gezogen, mühte Cassio sich ab den Mann besser wahrzunehmen, ohne den Kopf zu wenden und sich zu verraten. Tatsächlich schaffte er es, trotz der Schatten das feingeschnittene, doch herrische und kalte Gesicht eines Mannes mit schwarzem, glattem Haar zu erkennen. Eine lange, gebogene Nase ragte über den dünnen, blassen Lippen, die ein verächtlicher Zug umspielte. Die Augen waren schmal, wirkten giftig und waren von eloquenten Brauen überdacht. Ein spitzes, glattrasiertes Kinn ließ den Mann energisch und jung wirken, doch Cassio schätzte ihn auf Mitte dreißig. Etwas an seinem Ausdruck erinnerte Cassio an einen Habicht.

Der Eindringling ging zwischen den Reihen schlafender Jungen hindurch, blieb aber kurz neben jedem Bett stehen und sah hinab. Cassios eigenes Bett stand fast am Ende des Ganges. Um nicht in Panik zu geraten, versuchte er ruhig zu atmen und die Augen sanft geschlossen zu halten. Das verräterische Zittern unter Kontrolle zu bringen, war ein harter Kampf. Er lag auf der Seite, die Decke ans Kinn gezogen und mühte sich ab, so unscheinbar wie nur möglich zu wirken. Dann spürte er die Gegenwart des anderen unmittelbar hinter seinem Rücken. Von dem Besucher ging etwas aus, was Cassio nie zuvor gespürt hatte, eine unmenschliche Kälte. Als der andere sich endlich von ihm abwandte, fühlte Cassio es deutlich.

Nach einigen Momenten riskierte er es den Kopf zu wenden und in den zwielichtigen Saal zu spähen. Der Mann beugte sich über das Bett eines Kindes, als flüstere er diesem ins Ohr. Etwas in Cassio schrie, dass dies ganz gewiss nicht war, was der Mann tat, aber er versuchte diese Stimme nicht zu hören. Wenig später richtete der Mann sich auf, glitt lautlos zur Tür und entfernte sich so rasch, wie er gekommen war.

Doch es blieb nicht bei dem einen Besuch in jener Nacht, sondern es folgten weitere. Der Ablauf war stets gleich. Der Mann kam, ging zwischen den Betten entlang und verharrte dann neben einem der Schlafenden. Mal beugte er sich über diesen, mal nahm er sachte dessen Hand und senkte eine Weile das Haupt darüber, bevor er schließlich geräuschlos verschwand.

Vermutlich war es Cassios Geschick beim Finden verborgener Nischen, das ihn vor dem Fremden bewahrte. Nachdem dieser das erste Mal im Dormitorium der Jungen aufgetaucht war, fiel es Cassio schwer dort auch nur ein Auge zuzutun. In der folgenden Nacht lag er hellwach auf seiner Pritsche und wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Dabei suchte sein Blick den Raum nach einem möglichen Versteck ab, als ihm plötzlich etwas auffiel. Er bemerkte, dass die Wand zum Flur ein Stück kürzer war, als sie es von der anderen Seite betrachtet hätte sein dürfen. Stutzig über die Beobachtung stand er auf und schlich auf nackten Sohlen hin, um die Sache genauer zu erkunden. Das Ohr an die Mauer gepresst, tippte er mit den Fingerspitzen vorsichtig gegen den Stein. Das leise Geräusch, welches er so aus dem Gemäuer lockte, klang ein wenig hohl. So leise wie möglich erkundete er die ganze Ecke, welche nach seiner Meinung am falschen Platz war. Irgendein Instinkt redete ihm ein, dass da etwas nicht stimmte. Und dann fand er den Mechanismus. Eine Leiste am Boden ließ sich anheben wie ein Riegel. Drückte man fest genug gegen die Seite der Wand, schwang diese auf wie eine Türe. Leise drückte sich Cassio durch den Spalt und sah sich im spärlichen Licht um. Da waren ein kurzer Absatz und eine Treppe. Sie führte in einen schmalen Raum voller Spinnweben, der von einigen Regalen gesäumt wurde. Dazwischen standen ein paar morsche Stühle und auf dem Boden erkannte er alte Stoffreste, die vielleicht einmal Decken gewesen sein mochten. Jemand hatte hier ein geheimes Versteck gehabt, welches möglicherweise schon beim Bau des Hauses eingerichtet worden war. Cassio kannte die Geschichte des Hauses, denn der Maestro di Coro hatte sie seinen Schülern einmal erzählt.            

Der Bau hatte ursprünglich im Jahr 1346 begonnen. Man wollte eine Unterkunft für die Männer der Kreuzzüge schaffen, doch das Haus musste ihnen nur kurze Zeit als Herberge dienen, da die Lust am Kampf gegen die Ungläubigen in deren eigenem Land bald erheblich nachließ. Schuld daran war wohl nicht zuletzt die Pest, welche kaum zwei Jahre später Venedig mit voller Wucht heimsuchte. So blieben die Zimmer die meiste Zeit über verwaist. In seiner Weitsicht überließ der damalige Doge, Andrea Dandolo, den halbfertigen Bau sodann dem braven Franziskaner Frau Petruccio d’Assissi. Der hatte schon Jahre zuvor begonnen einen Stift zur Aufnahme von Waisenkindern und Frauen in Not zu errichten, doch erst jetzt erhielt er das halbfertige Gebäude für diesen frommen Zweck. Dies war die Geburtsstunde des Ospedale gewesen. Doch wer konnte diesen verborgenen Raum geschaffen haben und aus welchem Grund? Waren es durchreisende Kreuzritter gewesen, die hier ihre Schätze aus fernen Ländern versteckt hatten? Oder erst die Franziskaner um Frau Petruccio?

Aus den kargen Hinterlassenschaften und dem Fehlen von Gold und Juwelen folgerte Cassio, dass wohl der Franziskaner den verborgenen Raum eingerichtet hatte. Vielleicht hatte er als Versteck für Juden gedient, welche beim Ausbruch der Pest massenhaft aus den Ghettos geschliffen, als Brunnenvergifter bezichtigt und abgeschlachtet worden waren. Er wäre nicht der erste Christ gewesen, der angesichts des schieren Grauens der Massaker ein wenig Barmherzigkeit in seinem Herzen gefunden hätte.

Cassio kam sein Fund wie ein Geschenk des Himmels vor. Jede Nacht schlich er sich nun in sein privates Versteck, sobald alle schliefen. Ein kleines Blickloch erlaubte ihm sogar, das Dormitorium zu beobachten, wenn er meinte dort etwas gehört zu haben. So wusste er auch, wann er sein Versteck wieder ungesehen verlassen konnte. Tatsächlich beobachtete er noch ein paar Mal, wie der Fremde erschien.      

Cassio bekam nie heraus, was genau der Mann eigentlich tat. Doch ihm wurde klar, dass der Besucher kein normaler Mensch war. Die Kinder, welchen er sich zuwandte, wachten am folgenden Morgen auf, als sei nichts geschehen. Sie aßen, sangen und gingen unterschiedlichen Arbeiten nach. Dennoch wurde Cassio das Gefühl nicht los, dass sie sich irgendwie veränderten. Es war, als seien sie ein wenig langsamer, als sei ihr Blick einfach etwas „leerer“ im Vergleich zu vorher. Cassio gelangte darum zu der Überzeugung, der Fremde müsse eine Art böser Geist sein.

Consuela berichtete, dass der Fremde auch immer wieder zu den Mädchen kam. Sie fürchtete sich davor, bald ebenfalls an der Reihe zu sein. Nach einer Weile fassten sie darum den Entschluss, gemeinsam aus dem Waisenhaus zu fliehen. Es war eigentlich keine richtige Flucht, da man sie nicht einsperrte oder bewachte. Die Kinder waren ja alle froh, dass man sie im Ospedale aufgenommen hatte. Doch sie mussten sich überlegen, was sie für ein Leben auf der Straße benötigen würden und wohin sie gehen wollten. Schlussendlich rafften sie einige Nahrungsmittel, Decken und Kerzen zusammen und schlichen sich im Dunkel der Nacht davon. Sie verließen das Sestiere Castello, das von Kirchen und Palästen hoher Nobile beherrscht wurde, um im bürgerlicheren Sestiere Santa Croce unterzutauchen. Ahnend, dass die vor ihnen liegende Zeit hart für sie sein würde, waren sie dennoch froh dem unheimlichen Schrecken des Waisenhauses entkommen zu sein.

Es begab sich noch in dieser Nacht ihrer Flucht, dass sie von einer der überdachten Brücken unweit des Markusplatzes her ein gedämpftes Gewinsel und Geheul hörten, gefolgt von einem lauten Platschen. In der Dunkelheit konnte Cassio niemanden ausmachen, doch es bedurfte nur wenig Fantasie um sich auszumalen, was diese Geräusche wohl verursacht hatte. So schnell ihn seine Beine trugen war er also zum Kanal gerannt, dessen Wasser in der Dunkelheit vom Mondlicht funkelte. Er sah gerade noch, wie ein Bündel langsam davontrieb und versank. Hätte er sich die Zeit genommen nachzudenken, so hätte er sich vielleicht anders entschieden. Das elende Winseln hatte jedoch alle anderen Gedanken und Gefühle aus seinem Kopf vertrieben. Kurz entschlossen setzte er daher über die kleine Mauer der Brücke und hechtete in das glitzernde Wasser des Kanals, das schon so manchem zum Grab geworden war. Die Kälte war ein Schock, als sich das Wasser über seinem Kopf schloss. Sofort merkte er, wie die Strömung an ihm zog, doch er war ein geübter Schwimmer, wie die meisten Venezier. Unwillkürlich dachte er an die vielen anderen, die dennoch in den Kanälen verschwanden. Waren sie Opfer einer durchzechten Nacht geworden und trunken ins Wasser gestolpert oder stimmten die Gerüchte über ein Ungeheuer am Grunde der Lagune, den Makaro? Sein Wunsch dem Wasser zu entkommen wuchs ins Unermessliche, doch auf keinen Fall wollte er ohne das Bündel an Land gehen. Mit einigen kräftigen Zügen hatte er den halb versunkenen Sack rasch eingeholt. Er packte ihn mit einer Hand und klammerte sich mit der anderen an einen nahen Holzpfahl, der als Anlegeplatz für die Gondeln aus dem Wasser aufragte. Dann biss er die Zähne zusammen und hob den Sack mit einer Hand hoch, so dass das eingedrungene Wasser aus dem groben Stoff wieder hinauslaufen konnte. Dank Consuelas Hilfe, welche ihm am Ufer hinterher gelaufen war und nun den Sack entgegen nahm, befand er sich bald wieder auf dem Trockenen. Mit zitternden Fingern zerriss er den alten Stoff des Sackes und ein kleiner, dunkler Hundekopf mit kurzer Schnauze kam zum Vorschein. Der ebenfalls vor Kälte bebende Welpe begann sofort seine Hände abzulecken. Consuela runzelte die Stirn und schüttelte abschätzig den Kopf. Cassio bemerkte es und lächelte, denn er wusste, was jetzt folgen musste. Seine Freundin verfügte über eine eigene, etwas rauhere Sprache, die er aber gut verstand.

"Trottel. Wegen dem Köter bringst Du Dich fast um?" Das hieß: Das hast Du gut gemacht.

"Haben wir nicht schon genug Probleme?" Übersetzt: Wir werden uns um ihn kümmern.

Cassio betrachtete den kleinen Hund auf seinem Schoß, der sich auf der Suche nach Wärme gegen ihn lehnte. Er war schwarz. Nein, es war wohl eher ein Grau, das vom Wasser dunkler wirkte. Oder war er braun? Was spielte es überhaupt für eine Rolle? Cassio hatte nicht viel Erfahrung mit Hunden. Dieser hier hatte große Pfoten, sah etwas abgemagert aus und hatte, nachdem er sich einmal kräftig schüttelte, ein recht zottiges Fell. Um Kopf und Schultern war es ein wenig dichter, wie die Mähne der steinernen Löwen auf dem Markusplatz. Dann sah ihn der Hund hechelnd an und es wirkte fast, als grinse über irgendetwas.

Cassio musste bei der Erinnerung an jenen Abend lächeln. Er hörte im Halbdunkel neben sich ein leises, zufriedenes Schmatzen, fast als wolle sein Hund ihm zustimmen, dass es ein gutes Abenteuer gewesen war. Er widerstand der Versuchung seinen schlafenden Gefährten durch eine Berührung zu wecken.

Der Flucht in jener Nacht folgten harte Zeiten, in denen sie ständig vor irgendjemandem wegliefen. Und wären die Götter nicht so gnädig gewesen, ihn mit Consuela und seinem Hund zusammen zu bringen, so hätte er die Straße kaum überleben können.      

Sie bettelten häufig um ihr Essen, und wenn sie hungrig blieben, stahlen sie auch. Sie schliefen in kalten Gassen und in niedrigen Kellern voller Schmutz. Zu dritt meisterten sie lange Zeit die Gefahren der Straße, verbargen sich vor der Quarantia, vor den Menschenfängern und auch den zahlreichen kriminellen Banden, die sehr unterschiedliche, doch niemals barmherzige Ideen dazu hatten, was mit kleinen Konkurrenten zu tun sei. Jeder von ihnen trug seinen Teil zum Überleben bei. Cassios kleiner Findling wuchs in atemberaubendem Tempo, so dass er bald mehr die Beschützerrolle für seinen Herrn übernahm als umgekehrt. Selbst ohne einen Laut von sich zu geben und ohne seine Zähne zu fletschen, konnte er mit einem bloßen Blick so manchen entmutigen, der ihnen ans Leder wollte. Cassio hatte nie zuvor ein vergleichbares Tier gesehen, und dennoch war er ihm so vertraut, als sei er ein alter Gefährte. Neben seinem wuchtigen Körperbau besaß das Tier einen hellen Verstand. Mitunter vergaß Cassio darum, dass sein Freund ein Hund war und unterhielt sich mit ihm über alles Mögliche. Mit seiner beredsamen Mimik gab sein Hund ihm oft direkter als andere zu verstehen, was er von seinen Ideen hielt.

In der Nacht war Venedig ein gefährlicher Ort. Das galt umso mehr, da Cassio längst akzeptiert hatte, dass es Dinge in der Welt gab, die über den Verstand normaler Menschen hinausgingen, magische Dinge und magische Wesen. Magie war eine Tatsache und ließ sich nicht leugnen. Sein Vater war ein Tohunga gewesen. Er selber besaß eine Maske, die unsichtbar wurde. Der Mann im Ospedale war ganz sicher kein normaler Mensch gewesen. Was Conusela im Chor wiederfahren war, ließ sich ebenfalls nicht mit gewöhnlichen Methoden erklären. Die meisten Menschen glaubten an Magie der einen oder anderen Art, obgleich sie völlig blind dafür waren. Er wusste, dass es sie gab, auch wenn er sonst wenig über sie wusste. Diese Erkenntnis hatte bewirkt, dass er irgendwann begann, nach ungewöhnlichen Dingen Ausschau zu halten. Und tatsächlich bemerkte er darum ab und an Unerklärliches, Sachen, die manchmal direkt vor aller Leute Augen geschahen und doch unbemerkt blieben. Orte, die Menschen instinktiv mieden, Gerüchte, an denen mehr Wahrheit war, als man zunächst glauben wollte. Manche Brücken mied man nachts. Manchen Personen stahl man besser nichts. Manche Tavernen mied man. Über manche Brunnen beugte man sich besser nicht.

Consuela entwickelte sich in ihrer Zeit auf der Straße rasch zu einer Überlebenskünstlerin. Sie hatte ein gutes Gespür für Gefahr und fand zudem die besten Gelegenheiten, um an Nahrung zu kommen.

Er selber hatte scharfe Augen, denen selbst bei wenig Licht nichts entging. Zudem besaß er einen Spürsinn für das Auffinden verborgener Winkel, was ihnen nicht nur Zuflucht in kalten Nächten bescherte, sondern häufig auch ein Versteck, wenn sie es am dringendsten benötigten.

Dies war oft genug der Fall. Denn auf sich alleine gestellt wurde ihnen ständig alles von anderen streitig gemacht - Reviere, Unterschlüpfe, Beute. Kam eine stärkere Bande in die Gegend - und das waren praktisch alle anderen - mussten sie sich aus dem Staub machen.

Das änderte sich schließlich, als sie von den La Gazza aufgenommen wurden. Zwar bestand die Gruppe mit Ausnahme ihres Anführers Jaquopo nur aus Kindern, doch sie waren viele. Und das machte einen entscheidenden Unterschied. Wurde einem von ihnen die Beute von einer anderen Bande abgenommen, blieb das nicht ohne Konsequenzen. Allzu schnell geschahen unangenehme Dinge als Folge solcher Übergriffe. Gewalt war nur selten die Antwort, denn es brauchte schon eine Menge von ihnen, um es mit einer Gruppe von Erwachsenen aufzunehmen. Aber man konnte Drangsalierern das Leben sehr leicht zur Hölle machen, indem man ihre Beutezüge sabotierte oder sie einfach in die Arme der Quarantia lenkte.

Das Leben bei den La Gazza musste man als Wende zum Guten betrachten. Die Unterkunft war besser und das Essen relativ regelmäßig. Die Gruppe bot einen gewissen Schutz und man hatte Gelegenheit von anderen zu lernen. Einziger Nachteil war, dass man seine Beute Jaquopo zu geben hatte. Vollständig, ohne wenn und aber. Doch das fand Cassio nicht schlimm. Als sie für sich alleine gestohlen hatten, war gerade genug herumgekommen, um zu überleben. Im Vergleich dazu war das Leben jetzt angenehmer. Viele von den anderen murrten darüber, dass sie ihre Beute abgeben mussten. Doch Cassio sah ein, dass Jaquopos System funktionierte.

Die Lehrmethode der Elstern war einfach. Die Jüngsten und die weniger Begabten zogen täglich aus, um den Bewohnern der Serenissima die Taschen zu erleichtern. Sie lernten rasch sich zu verbessern oder endeten früher oder später am Galgen.

Wer gut genug war, konnte in eine der drei Gruppen von Spezialisten aufgenommen werden, die für die größeren Beutezüge zuständig waren. Den Battistrada, welche die besten Ziele auskundschaftete. Den Risa, die mit Trug und Schnelligkeit arbeiteten. Oder den Scavalcari, welche sich von Türen und Mauern nicht aufhalten ließen.

Cassio war klar, dass sie die La Gazza irgendwann verlassen mussten, wie alle, die zu alt wurden. Der Gedanke gefiel ihm nicht besonders, denn er fühlte sich unter der Führung von Jaquopo wohl. Dennoch wollte er nicht unvorbereitet sein, wenn es einmal soweit sein sollte. Also arbeitete er hart an seinen Fähigkeiten und tat sein Bestes für die Gruppe.

Er war offenbar noch einmal eingeschlafen, denn als er das nächste Mal blinzelnd die Augen öffnete, war es schon deutlich heller. Wie seine Mutter es ihn als Kleinkind schon gelehrt hatte, schloss er die Augen erneut und begann mit seinen Körperübungen. Langsam wanderten seine Sinne durch jedes einzelne Glied, suchten nach allem, was ihn störte. Die Atemübungen entspannten ihn jetzt, den Rest würde er später mit einigen Dehnungen in Ordnung bringen.

Er musste nicht erst hinsehen um zu wissen, dass Consuela bereits aufgestanden war. Sie war häufig früh auf den Beinen, was vielleicht ein wenig ihre etwas mürrische Art erklärte. Cassio beeilte sich damit in seine Kleidung zu schlüpfen, denn er war hungrig.

"Boah, gibt's ja nicht!" Der kleine Paolino stand am Fenster und hatte die Lumpenvorhänge beiseite geschoben. Er starrte auf etwas oberhalb des Fensters.

"Was ist?" Cassio bemerkte, dass der magere Junge ein wärmeres Hemd trug als sonst, welches ihm um Einiges zu groß war. Es war höchste Zeit gewesen, der Junge litt sehr unter der Kälte. Doch im Augenblick war ihm nichts davon anzumerken. Seine Backen strahlten in gesundem Rot und er zeigte aufgeregt aus dem Fenster.

"Das ist ja der krasseste Eiszapfen, den ich je gesehen habe!"

Cassio trat dazu. Paolino deutete auf ein mächtiges Eisgebilde am Dachvorsprung vor dem Fenster. "Sieht echt schräg aus!", piepte der kleinere Junge.

Dort hing ein mächtiger, glitzernder Eisklumpen, in seiner Form ganz ähnlich dem Kopf einer Laute. Sogar die etwas zu lange Saite war gut zu erkennen. Cassio biss sich auf die Zunge, bevor ihm etwas Unüberlegtes herausrutschte.

"He! Ich bleib' lieber noch was liegen. Mein Bett ist heute herrlich warm!" Voll kindlicher Euphorie hüpfte Paolino auf seiner Matte herum, warf sich dann hin und zog die dünne Decke bis unter das Kinn.

 

Anfangsfähigkeiten: Etwas Dunkelsicht durch Maske, Lauschen, leise bewegen/gut verbergen, Temperaturen ertragen & manipulieren, Krankheiten erkennen/Vampire erkennen, verborgene Strukturen erkennen

Foci:

Forces, also Sinnschärfung, Dunkelsicht, gehen über die Maske (Runen?)

Matter, also Struktur entdecken, über Klopfen, mit einem Stecken o.ä.

Prime, Aufspüren von Kraft und kraftvollen Orten, über einen Stab/Wünschelrute?

Life, das Suchen nach Krankheit und Gebrechen, durch Zirkel und geometrische Formen.

Life: Dies drängt sich Cassio auf, da er überträgt, was er in der Baukunst sieht. Der Kreis ist die Grundform, in welche die anderen Formen eingebracht werden. Er bezeichnet einfach ein Gebiet, in welchem die Magie wirken soll. Kreuzformen, wie bei Kirchen führen zu Heilung und Hilfe, Vierecke bei Häusern sollen Schutz bieten.

 

 

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Cassios 1. Einzelmodul

Aktuelle Situation:

Berberpiraten, sowie Piraten aus Senj (ital. Segna), auch Uskoken genannt, suchen die Küsten der Adria heim, nicht zuletzt, um christliche Sklaven zu fangen für den Nordafrikanischen Markt und das Osmanische Reich. Doch wer weiß, ob das ihr wirklicher Auftrag ist? Vielleicht sollen sie auch jemand bestimmten aus dem Weg schaffen, eine Schiffsroute stören, den Hafen von Venedig belagern oder nur für Unruhe sorgen? Ist ihr Herr ein Mann, der Pläne gegen Venedig strickt?

Hintergrund:

Die Giovanni wollen den Seeweg nach Venedig blockieren, um ihre Waren teurer zu verkaufen. Fremde Schiffe werden von den Piraten angegriffen, ihre eigenen kommen weitgehend durch. Sie selber bleiben im Hintergrund. Die Giovanni bringen in Erfahrung, wann welche Schiffe die Stadt auf welcher Route verlassen. Dies geben sie an die Piraten weiter. Diese versuchen möglichst viele der Händler aufzubringen.

Eine von den Giovanni kontrollierte Gilde, die Scuola Grande di San Giovanni Evangelista mit ihrem prächtigen Gildenhaus in San Polo, beauftragt durch eines ihrer Mitglieder, den Händler Andrea Lombardo, die Piraten. Der sendet eine verschlüsselte Nachricht an die Piraten. Die Verschlüsselung des Briefes nimmt Lombardo selber vor. Als Schlüsselwort benutzt er etwas, dass im Siegel auf dem Papier zu sehen ist. Etwas, dass ihm am Herzen liegt, wie manche wissen und woran man ihn eventuell als Absender ausmachen könnte, wenn die Nachricht in die falschen Hände geriete (Tintenfisch à Calamaro).

Diese Nachricht kann man auf der Sposa di Mare (Seebraut, kleine Karacke) finden, welche in der Schattenstadt ankert. Die Sposa wird bewacht. Sie verfügt über eine Mannschaft von 30 Mann.

Der Commandante, Grimaldo Cornacchia (Krähe), hat in seiner Kajüte eine Schatulle mit einem entsprechenden Schreiben, welches er an die Piraten in Senj liefern soll. Sein Kontaktmann dort ist ein gewisser Hrobek.

Die mit einem Siegel versehene Nachricht lautet entschlüsselt:

Der Loewe ist zur Zeit nicht sicher, darum so. Drei Tage im neuen Jahr, zwei Naves mit reicher Fracht, gen Konstantinopel.   

Fec Laens kse zgr Qskt yiohk gkcsed, drfwm do. Prvw Vare um eswey Jmhi, nyet Nmvvg oie rqitvgr Qrmcyh, iey Kanjhcneizogsn.

(Vignere-Verschlüsselung, Schlüssel „Calamaro“ - s. Siegel)

Mit dem „Löwen“ spielt der Händler auf eine Kneipe (Ubriaco Leone) an, die außerhalb der Stadt liegt und verborgen ist. Sie dient gewöhnlich als Treffpunkt für die Unterwelt und Piraten.

Die Piraten verfügen dank der Unterstützung der Giovanni über eine kleine Flotte, mit welcher sie die Adria weitgehend überwachen können. Ist die Beute ausgemacht, ziehen sie rasch ihre Schiffe zusammen und greifen an. Natürlich sind sie nur Handelsschiffen gewachsen. Drei oder vier Militärschiffe könnten sie bereits in die Flucht schlagen oder ganz besiegen.

Sie übernehmen die Fracht und das Schiff, die Besatzung wird entweder als Sklaven verscheuert oder in die Truppe mit aufgenommen.

Die Sposa die Mare ist selber ein Handelsschiff und hat zurzeit einige Güter geladen. Sie hat u.a. 15 graue Ballen Mohair-Rohwolle (aus Angora/Ankara) – von der Kamelziege, auch Kamelotte genannt. Dazu Baumwoll- und Damast-Tücher auf schweren Rollen sowie einige Amphoren mit Ölen. In der Kapitänskajüte findet sich hinzu eine kleine Schatulle mit Perlen und Edelsteinen im Wert von rund 1000 Zecchinen. Die Wollballen, jeder wiegt gut 15 Kilo, sind ebenfalls recht wertvoll und würden pro Stück gut 100 Zecchinen abwerfen. Allerdings sind sie dank Größe und Gewicht sehr unhandlich.

 

Ablauf:

Cassio hat das Schiff bereits für sich entdeckt und will am Abend versuchen dort an kostbare Waren zu gelangen. Ob er sich an Bord schleichen möchte oder einfach hofft, dass niemand ihn zur Kenntnis nehmen wird, ist noch unklar. Letzteres funktioniert auf einem so kleinen Schiff natürlich nicht. Sein Hund wird an Bord in jedem Fall auffallen und eher am Dock auf ihn warten.

Ein Plan des Schiffes:

 

An Bord kann er ein Gespräch des Commandante (Kapitän) mit einem merkwürdigen Mann belauschen. Letzterer fällt auf, weil er eine merkwürdige Sprachmelodie hat. Es ist ein dunkelhäutiger Mann, ein Ghul, der dem Händler von den Ghiberti überlassen wurde. Sein Name ist Taio und er ist ein Diener von Olivia. Natürlich sieht er recht beeindruckend aus, denn Olivia würde keinen hässlichen Mann zu ihrem Ghul machen.

Es geht um die Weitergabe von schriftlichen Instruktionen, welche der Kapitän von Taio erhält. Ebenso überreicht Taio dem Kapitän einen klimpernden Sack – voll Edelsteinen und Perlen. Das Gespräch muss Interesse wecken.

Taio betont deutlich, der Kapitän müsse gut auf die Depesche aufpassen, denn der Inhalt sei manchen Leuten eine Menge wert. Der Commandante lacht und sagt, er wisse schon, dass er nicht nur die Interessen eines Händlers schützen müsse und dass er schon vorsichtig sei. Die Fiori (Anm.: Il Fiore Bianco) bekämen nichts von ihm, auch nicht sonst irgendwer.         

Natürlich ist dem Commandante mitnichten bekannt, wer tatsächlich hinter allem steckt. Er denkt, sein Auftraggeber sei jemand aus der Gilde.

Beide beschließen in der Kajüte des Commandantes einen Tropfen zu trinken und ziehen sich dorthin zurück. Man kann noch hören, wie der Commandante sagt, er wolle am Abend zu seiner Hure im Tempel der Feuchten Venus.

Commandante Grimaldo Cornacchia:

Stä 3, Ges 4, Sta 3, Aun 2, Mani 3, Char 3, Perc 4, Int 2, Wits 3. Ini: 6

Wichtigste Fähigkeiten 3-4. Wille 4. Rapier Diff. 5, Schaden 6, Messer Diff. 5, Schaden 4

 

Die Kajüte liegt achtern, direkt unterhalb der Kajüte des Timoniere (Steuermann), Rinuccio. Betritt man das Hinterdeck durch die Tür vom Hauptdeck aus, geht ein schmaler Gang geradeaus. Links und rechts gehen die Türen zu den Offizierskojen ab. Sie sind belegt vom Nostromo Guiseppe und Tenente (Leutnant) Mariotto.

Ganz am Ende ist die Kapitänskajüte. Dort könnte Cassio weiter lauschen.

Den geheimen Brief verstaut der Commandante sorgsam. In seiner Kajüte legt er ihn in eine verborgene und verschlossene Wandnische. Der Brief ist ein einer gesonderten Röhren-Schatulle. Die Schatulle ist sehr robust und überdies mit einem kleinen Säurebehälter ausgestattet, welcher das Schriftstück bei gewaltsamer Öffnung zerstört – ein übliches Verfahren bei geheimen Dokumenten. Um also an das Dokument zu gelangen, muss man entweder sehr geschickt sein oder den Schlüssel haben, der dem Commandante in der Brusttasche steckt.

Neben dem Brief befindet sich in der Wandnische auch noch der Sack mit Perlen und Edelsteinen, der zur Fracht gehört (Wert rund 1000 Zecchinen).

Das Schiff ist gut bewacht und soll im Morgengrauen auslaufen.

Neben zwei Männern auf dem Hauptdeck geht der Nostromo (Bootsmann), ein Hüne namens Guiseppe, immer wieder durch das Schiff und sieht nach dem rechten.

 

Falls Cassio die Nachricht stiehlt, müssen die Giovanni reagieren. Der Händler wird vielleicht noch versuchen, die Nachricht zurückzuerlangen. Wenn die Sache aber ans Licht kommt oder Cassio die Nachricht weitergibt, wird man gegebenenfalls dafür sorgen, dass der Händler nicht mehr reden kann. Er wird nicht getötet, sondern schlicht geistig so beeinflusst, dass er sich selbst bezichtigt. Entsprechende Zauber könnten das freilich erkennen, doch wer schaut schon danach? Dies geschieht aber nur, wenn von staatlicher Seite etwas unternommen wird. Sonst werden der Händler und der Commandante einfach jedes Wissen von der Nachricht leugnen.

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Cassio lässt sich auf dem Schiff schnappen

Sollte Cassio gefunden werden, wird man ihn erst einmal fesseln und ins Bootsmanns Lager werfen, einen hauptsächlich mit Tampen und Leinen gefüllten kleinen Raum im Vorschiff.

Dass ihm von da an keine rosige Zukunft blüht, muss hinreichend klar sein. Aus seiner Sicht wird ihm der Verkauf als Sklave wohl am wahrscheinlichsten vorkommen. Das wäre auch der Plan des Commandante, doch Taio wird ihm sagen, dass der Junge anderweitig Verwendung finden soll. In der Kapitänskajüte erklärt er ihm, dass er den Jungen gleich in der Stadt jemandem zukommen lassen kann. Er überlässt dem Commandante einige Zecchinen, was diesen zufrieden stellt.

Cassio hat hier noch die Gelegenheit sich zu befreien und davonzumachen. Gelingt ihm das nicht rechtzeitig, wird Taio kommen.

Er wird Cassio ausknocken und mitnehmen. Er hat einen Deal mit einem Ghiberti, der ihm Blut gibt für solche Waren wie Cassio. Der Ghiberti ist ein noch junger Vampir namens Angelo. Angelo übt sich noch im Pfad der Gebeine, weswegen er ständig neue Opfer braucht.

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