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Mara - 
Erinnerung: Dunkelheit

Ich erinnere mich an sehr wenig vor der Zeit als mich Zuhause fand.

Das mag für die meisten befremdlich klingen, doch es ist die Wahrheit.

Ich weiß sehr wohl wann ich geboren wurde. Auch an die Gesichter meiner Eltern kann ich mich erinnern. Doch die Zeit vor dem Tag, an dem ich gefunden wurde, verängstigt, verirrt und am Ende aller Hoffnung, jemals wieder einen freundlichen Menschen zu sehen, ist wie hinter einem verschwommenen Schleier.

Vielleicht liegt das auch daran, dass man mir erst Zuhause eine Sehhilfe schuf, die mir endlich zeigte, dass die Welt nicht aus verschwommenen Konturen besteht. Allerdings weiß man ja auch nicht was man verpasst, wenn man es nicht kennt.

Doch vielleicht sollte ich von vorne beginnen. Ich neige zum wirren Abschweifen. Das tut mir leid. Unter Umständen hängt es damit zusammen, dass Menschen mich nervös machen. Also, von Anfang an:

Mein Name ist Mara Ich wurde in Trigardon geboren. Philonius Phadrack anh Ria regierte zu dieser Zeit das Land, zumindest sagen das die Bücher. Ich selbst habe ihn nie getroffen. Überhaupt weiß ich das meiste aus der längeren und kürzeren Vergangenheit aus Büchern. Ich weiß generell das Meiste aus Büchern. Gebundenen, gerollten, einzelnen Pergamentseiten. Lose auf Stapeln, geordnet in den Regalen der Bibliothek. Oh, wie vermisse ich die Bibliothek.

Aber ich wollte ja der Reihe nach berichten, verzeiht. Also, Trigardon. Genauer gesagt, ziemlich im Westen. Meine Familie gehört zu den Riasinaten des Dunkelwalds. Dort erblickte ich sie nun also auch zum ersten Mal. Riasina. In einer klaren Herbstnacht stand sie hoch über dem Wald und strahle in voller Pracht auf mich herunter, als ich meinen ersten Atemzug tat. Das hat mir meine Mutter zumindest gesagt. "Mara", sagte sie immer, "Mara, Riasina hat auf dich herabgelächelt vom ersten Atemzug an und sie wird es immer tun".

Es gab keinen Augenblick in meinem Leben, an dem ich an der Wahrheit dieser Worte gezweifelt hätte. Ganz im Gegenteil. Es kommt mir nicht ein Moment in den Sinn, an dem ich nicht behütet gewesen wäre. Auch wenn ich nicht viel davon in meinem Gedächtnis wiederfinde, ein paar Dinge sind geblieben.

Das Leben im Dunkelwald ist schlicht, aber nicht so trübe wie viele meinen mögen. Ich erinnere mich zumindest an keinen Augenblick, in dem mir mein Leben trostlos vorgekommen wäre oder ich Angst gehabt hätte verhungern zu müssen. Mutter war eine emsige sanfte Schusters Frau und Vater, Schuster und Wissenssucher, brachte mir das Lesen bei noch bevor ich 6 Winter erlebt hatte. In unserem kleinen Dorf lebten einige derer die das freimagische Kloster mit Gütern und Lebensmitteln versorgten, auch wenn nie jemand im Kloster selbst gewesen war. Es gab eine Art Wegkreuz, an dem die Ware abgelegt wurde und wenn die nächste Lieferung kam, war die vorherige verschwunden. Wobei, Wegkreuz sehr groß und mächtig klingt. und als ich klein war, kam es mir auch so vor, denn ich hatte ja noch nie mehr gesehen als die beiden schmalen, ausgetretenen Schneisen im Dickicht. Heute weiß ich natürlich, das es bestenfalls als Trampelpfad zu bezeichnen ist. Aber heute habe ich auch Städte gesehen und sogar das Meer. Am Meer duftet es ganz anders als dort. Aber genau so intensiv. Das Salz in der Luft, der Fisch, das Geschrei der Möwen.

Verzeihung ich schweife schon wieder ab. also.

Das Wegkreuz.

Seit generationen hatte man dort schon gaben für die Diener der Herrin bereit gelegt. Niemand hatte je gesehen wer sie holte, aber immer wenn wir die nächste lieferung brachten, war die vorherige weg. Es war alles dabei. Tuche, Feldfrüchte, Tonwaren. Die Stiefel und Schuhe die mein Vater fertigte, manchmal Brote und Gebäck. Einmal war sogar ein Ferkelchen dabei. Ich glaube es fand die Sache nicht so Ehrenvoll wie wir, denn es hat die ganze Zeit geschrieen. Ich hab es noch gehört als wie fast schon wieder zuhause waren. ich weiß bis heute nicht, wer die Ware bestellt hat, wie wir wussten was gebraucht wurde, und schon gar nicht, wie das alles begann. Aber durch diesen brauch begann meine Geschichte.

In meinem neunten Sommer begleitete ich meine Mutter wieder einmal zum Wegkreuz. Mein Körbchen mit Kuchen am Arm schwenkend, hopste ich den leicht matschigen Pfad entlang. Beschwingt und unbeschwert freute ich mich über das platschende Geräusch unter meinen Schuhsohlen. Mutters schimpfen über den Dreck nahm ich wahr, doch er war mir gleichgültig. Es hatte tagelang geregnet und ich war zu glücklich endlich wieder die Sonne durch das Dickicht zu sehen, als das ich mir von verboten die Freude hätte nehmen lassen. Wie immer, wenn wir Gaben zur kreuzung brachten, hatten wir unsere besten Tuniken und Kleider an, und meine Schuhe hatte Vater frisch gewachst. Mutter hatte eine gefühlte Ewigkeit mein Haar gekämmt um es zu bändigen und das Flechten hatte ganz schön weh getan. Aber, so sagte Mutter, um der Herrin zu dienen ist unser Bestes grade gut genug.

Als ich noch darüber nachdachte, wie wohl der Vogel hieß, der uns mit seinem Gesang den Marsch versüßte, glitt mein Fuß über einen moosigen Stein, ich verlor den Halt und ehe ich begriff was geschehen war hatte meine Nase auch schon ein Erdloch gefunden. Der Länge nach im Dreck liegend, hörte ich meine sonst so besonnene Mutter erbost aufschreien. Der Kuchen war in einer lehmigen Lache verschwunden. Ich glich mehr einer gesuhlten Sau als einem Mädchen und triefte vor Schmutz als Mutter mich unsanft an den Ohren aus der Pfütze gezogen hatte. Die Ohrfeige, die dann durch den Wald schallte, spüre ich heute noch, wenn ich daran denke. Ich hatte Mutter noch nie so wütend gesehen. Erstarrt vor Schreck schaute ich sie mit aufgerissenen Augen an und begriff die Worte nicht die Sie mir in ihrem Ärger entgegen schrie. Angstvolle Augenblicke vergingen bis ich endlich wieder Herr meiner Glieder war. Einem Impuls folgend sprang ich auf und rannte los in das Unterholz entlang des Pfads.

Heiße Tränen liefen über mein Gesicht und vernebelten meinen unklaren Blick noch mehr. Die Sträucher rissen an meinen Kleidern und fetzen über Hände und Wangen und irgendwo muss auch ein Dornbusch dabei gewesen sein, denn ich weiß, dass ich einen langen blutigen Riss am Unterarm hatte. Ich rannte lange; rannte bis meine Beine schmerzten, meine Lunge brannte. Quietschendes platschen des Morasts unter meinen Füßen begleitete mein stummes Weinen. Ich konnte nicht denken. Nur laufen. immer nur laufen. Und dann stolperte ich erneut. Ich hatte eine Wurzel übersehen und war mit der Fußspitze hängen geblieben. Ich schlug der Länge nach auf den Boden, stieß mir den Kopf an einem dicken Ast, der von einer Eiche herunter gebrochen war und dann wurde alles um mich herum schwarz.

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Erinnerung: Dämmern

Ich erinnere mich an sehr wenig vor der Zeit, bevor mich Zuhause fand.

An den Augenblick, in dem ich in völliger Dunkelheit auf dem feuchten Waldboden erwachte, erinnere ich mich aber sehr genau. Diese Angst werde ich nie vergessen.

Es hatte wieder angefangen zu nieseln. Meine Tunika klebte feucht an mir und ich hatte das Gefühl von Ihr am Boden festgehalten zu werden, in einem modrigen Klammergriff.

Viele Leute sagen, sie lieben die Stille des Waldes, aber der Dunkelwald ist nicht still. Schon gar nicht nachts.

Ich versuchte mich aufzusetzen, meine Finger glitten durch den Matsch und das Geräusch, das sie machten, als ich fingerbreit in den Boden einsank, hatte sehr viel Ähnlichkeit mit denen des Dorfvorstehers, während der Kohlernte nach drei Tagen deftiger Suppe. Etwas krabbelte über mein Bein. Im Unterholz konnte ich überall rascheln hören. Mäuse fiepten und ich glaubte in meinem Nacken das Atmen eines großen Tieres zu spüren. Eiskalt schauerte es mir und ich wagte nicht mich zu bewegen. Ein Wassertropfen rann mir von der Stirn über das Gesicht, vermischte sich mit meinen Tränen und sammelte sich an meinem Kinn bevor er zu schwer wurde und auf meinen Kragen fiel.

Einige Augenblicke saß ich verschreckt und lauschend dort, bevor ich wagte die Augen zu öffnen, von denen ich nicht einmal gemerkt hatte, dass ich sie wieder geschlossen hatte. Ein fahler Lichtschimmer stahl sich zu mir durch. Allmählich konnte ich die Bäume vom Boden unterscheiden und vorsichtig tastete ich mich, durch den Schlamm robbend, zur nächsten Eiche heran und stellte mich schutzsuchend an ihren Stamm.

"Mama?" ich flüsterte die Frage nach Hilfe in die Dunkelheit.

"Mama, wo bist du?" unwesentlich deutlicher klang meine Stimme den Pfad entlang.

Die Augenblicke verstrichen ohne Antwort und der eisige Griff um mein Herz wurde fester.

"MAMA!" Ich schrie. In den Ästen über meinen Kopf kreischten erschrocken einige Vögel und flatterten aus der Krone der Eiche. Mutlos und traurig sank ich am Stamm herunter, schlang die arme um die Knie und legte den Kopf auf meine Arme. Was sollte ich tun? Ich konnte nichts sehen, wusste nicht wo ich war und zu allem Übel meldete sich mit schleichendem Pochen ein Schmerz aus meinem rechten Knöchel, als wolle er mir mitteilen, dass ich längst nicht erfasst hatte, wie meine Situation genau beschaffen war. Tränen der Verzweiflung hinterließen Striemen im Schlamm auf meinem Gesicht. Kauernd weinte ich mich in einen unruhigen Schlaf.

Ich träumte einen verworrenen Traum, an den ich mich bis heute gut erinnern kann:

Eine hellgrüne Wiese umgab mich, die Bienchen summten von Blüte zu Blüte und tanzten den Tanz des Sommers. Amseln stritten um die besten Plätze um Insekten aufzulauern am kleinen Tümpelchen, keine 50 schritt entfernt und die Frösche quakten so laut, dass man hätte meinen können, sie wollten Riasion persönlich zurufen, wie herrlich sie den Tag fanden. 

Leichtfüßig hüpfte ich über die Wiese und pflückte für Mutter einen Straus aus Butter- und Kornblumen umrahmt von Margeriten. Ich hätte gerne noch Mohn gehabt, aber es war keiner zu finden. Ich hielt inne und atmete den frischen duft des Sommers ein. Frisch gemähtes Gras. Die Männer liefen mit den Sensen über die Wiese und machten das erste Heu für dieses Jahr. Süßer Duft des Honigklees, der schon fast eine betäubende Schwere hatte und die Bienen anzog wie eine magische Kraft. Aus dem Dorf aber, kam das köstlichste Aroma das ich kannte: der unvergleichliche Geruch des Backtags. Heute wurde Brot gebacken. Mein Herz hüpfte bei dem Gedanken an das leichte Knistern der frischen Kruste unter meinen Fingern und dem Geschmack der ersten, noch lauwarmen Scheibe Brot auf meiner Zunge, verfeinert mit etwas Schmalz. Das Wasser lief mir schon allein bei der Vorstellung auf der Zunge zusammen. Es gab nichts auf der ganzen weiten Welt das so gut schmeckte, wie frisch gebackenes Brot mit Schmalz. Mit einem seligen lächeln der Vorfreude im Gesicht, sank ich ins Gras, streckte meine Arme und Beine von mir und schloss die Augen um Riasions wärme voll zu empfangen.

Ein knacken lies mich hochfahren. Ich öffnete die Augen und um mich herum war es stockdunkel. Noch bevor ich wirklich begriffen hatte, dass ich mich mitten im Wald befand und mich fragen konnte wie ich dort hingekommen war, öffnete sich wie von Geisterhand der Boden unter mir und ich fiel... fiel immer tiefer in ein Loch das kein Ende zu haben schien. Der Schrei des Schreckens wollte meiner Kehle nicht entweichen und so fiel ich lautlos, mit den Armen rudernd und aufgerissenen Augen ins nichts. Es wurde immer Kälter je weiter ich von der Oberfläche verschwand und die eisige Umklammerung der Nacht ihren Griff um mich verstärkte. Als das Loch, durch das ich gefallen war nur noch ein winziger Punkt über mir zu sein schien, mehr eine Ahnung, als etwas das ich wirklich sah, landete ich plötzlich weich und warm, hörte aber trotzdem nicht auf mich zu bewegen. Verwirrt griff ich neben mich auf meine Landefläche und ertastete Federn wie in einem Kissen. Sie bewegten sich unter mir. Kräftige Flügel schlugen neben meinem Rücken auf und ab und ich wurde wieder hoch getragen, zurück Richtung des Größer werdenden Rundes durch das ich gefallen war, doch anstelle eines loch im Bodens war es plötzlich der große runde Vollmond der auf mich zu kam und der vor mir Prangte , größer als ich ihn je zuvor gesehen hatte.

Dann wachte ich auf

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