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Abenteuer in der Ætherwelt
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Grüne Schwaden krochen über den Boden. Die Gaslaternen zischten und ein Frosch flog zurück in seinen Teich. Baden-Baden machte sich zum Schlafen bereit.

Seit ein Römer mit seiner Kohorte und einnehmenden Absichten das Tal entlang gekommen war und angesichts der herrlichen Thermalquellen lieber beschloss, darin liegenzubleiben, bis seine Gliedmaßen verschrumpelten, war Baden-Baden ein Ort, der von zwei Dingen lebte: Wasser und Wald. Oben auf den Berghöhen sprossen Kurhotels aus dem Boden und im Winter wedelten die Skifahrer die Hänge herunter, so wie die Heilquellen, die durch die Gesteinsschichten hinunter gurgelten und mit Mineralien gesättigt aus Zapfhähnen sprudelten. Unten im Tal der Oos wurde ebenso teuer logiert, eingekauft und abends im Casino gezockt. Nach dem Verschrumpeln in den Thermen und einer Massage, begab man sich zur Trinkhalle, um die nach warmem Blut schmeckende Flüssigkeit zu genießen. Jeder, der was auf sich hielt, kam hierher. Könige, Kaiser, Zaren und alles, was es sich sonst noch leisten konnte, um zu sehen und gesehen zu werden.

Wasser war aber seit dem Jahr 1900 weltweit die Substanz geworden, die den immer noch mysteriösen Æther absonderte. Auch wenn sich seither viele den Kopf zerbrechen, was die grüne Substanz genau ist, haben die Pragmatiker begonnen, sie zu nutzen. Luftschiffe, Æthermotoren, unzählige Prozesse, die von der seltsamen Energieform unterstützt, erstaunliche Ergebnisse erzielten. Eine phantastische industrielle Revolution.

Man überließ es zunächst den Kirchen und dem Militär, mit der schlimmsten Nebenwirkung, den Veränderten, klarzukommen, Man nannte sie Verdorbene, denn nur die Sünder würden vom Æther verdorben, das wusste man als guter Kirchgänger. Mitbürger, die plötzlich unangenehmerweise Reißzähne oder Flügel bekamen, wurden nicht mehr zum Flanieren eingeladen. Es war kein Platz für sie an den Spieltischen des Kasinos oder in den prächtigen Kaufhäusern.

Wo blieben die Verdorbenen? Wohin wurden sie gebracht, nachdem man sie durch die Straßen getrieben hatte? Was wurde aus der Hausfrau, die lieber eine Quelle bewachte, statt den Sonntagsbraten zuzubereiten? Was taten die Berichtiger mit den Mannwölfen, die man aus den dichten grünen Nebeln am Rhein fing, wo sie verrückt von der Wandlung hingeflüchtet waren? Der brave Bürger interessierte sich nicht dafür. Er wollte nur die Vorteile des Wohlstands, nicht die Schattenseiten.

Im Jahr 1910 änderte sich das durch die Nachforschungen einer mutigen jungen Dame. 1911 wurde das Amt für Ætherangelegenheiten gegründet, um die Forschungen zu dem Thema zu bündeln und nicht zuletzt die Rechte der Veränderten einzufordern. Männer und Frauen wurden Beamte, unterstützt von einer Sondereinheit Soldaten, die Exekutiven. Seither haben die Veränderten eine Stimme. Für alle, die Probleme haben, gibt es das richtige Formular und den passenden Stempel. Die Beamten des Amtes für Ætherangelegenheiten waren schließlich gut ausgebildet - preußisch organisiert und badisch ausgeführt.

(Anm.: Das bedeutete, dass es in der Kantine selbstverständlich Schwarzwälder Kirschtorte gab, Dragonermeister zu allen Mahlzeiten ein gern gesehener Digestiv war, und man es allgemein etwas gemütlicher anging. Der Badner an sich ist nicht für preußische Korrektheit gemacht.)

(Anmerkung zu Dragonermeister: Der Schnaps wird von Wissenschaftlern empfohlen. Die besondere Mischung soll die Nebenwirkungen des Æthers verringern.)

(Anm.: "Empfohlen" bedeutet, dass jeder Beamte einmal die Woche ein Formblatt zu seinem Dragonermeisterkonsum ausfüllen muss, um die Wirkungen statistisch aufzuzeichnen. Stimmen, die behaupten, das hätte den Charakter eines wissenschaftlichen Experimentes, werden aufgefordert, das in dreifacher Ausführung in den Beschwerdekasten zu werfen. Dieser steht im Büro der Amtsleitung.)

Die Glocke an der Tür zum Amt für Ætherangelegenheiten bimmelte.

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Amt für AetherangelegenheitenAetherwelt

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