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Arian - 
Kurze Beschreibung der Welt

Vorab: in der Wiki findet sich eine Karte, welche gelegentlich von Nutzen sein mag.

Die Sonne steht nie hoch, allenfalls seitlich. Gelegentlich sieht man auf der anderen Seite von der Sonne noch einen Lichtsaum, ähnlich wie jener der Sonne, wenn sie hinter Dunst ist. Wenn er auf- und abgeht, geschieht das ähnlich seitlich wie bei der Sonne. Daneben verschiedenes Leuchten, wie Nordlichter etc.

Umgebung hat keinen Bezug zur realen Welt. Es ist schattig und kalt, quasi Island. Märchenhaft. Entfernungen täuschen hier oft völlig. Wege ändern sich.

Tageszeiten sind geviertelt. Tag, Nacht, Vortagzwielicht/Erster Schimmer, Nachtagzwielicht/Letzter Schimmer. Leute pennen in unterschiedlichen Rythmen, einige einmal täglich, andere zweimal. Die (eigentliche) Nachtzeit ist von 21:00h bis 03:00h.

Der Mond besteht aus drei (passenden) Scherben...

Die Menschen bei uns sind in ihren Professionen so gut, dass ihre Produkte nahezu perfekt sind. Dieser Umstand wird als gegeben akzeptiert.

Im Ort, Uster, gibt es eine Halle, ähnlich wie in allen anderen Orten wohl auch. Die Halle, wo alles geht, ist riesengroß (locker für 500 und mehr) und äußerst multifunktional. Kann ein Amphitheater sein, kann ein Eisstadion sein, meist ist sie aber eine Riesenhalle mit mehreren Bars und Tresen.

Uster liegt am Meer. Farborg, Henrickshafen, etc. sind größere Orte. Die Seefahrt ist angesehen und cool. Allerdings braucht man dazu zahlreiche wichtige Leute: Kyberneten/Steuermann, Geodäten/Kartenzeichner, Kapitän, Mathematiker.

Die Gesellschaft ist recht hart. Es gibt eine Menge Kleriker verschiedener Richtungen. Man kann glauben, was man will, solange man zusammensteht, wenn der Feind kommt. Verschiedene andere Gesellschaften haben ständig Krieg mit uns, die Chut, die Slat, Hexen...

Es gibt auch Adel. Dieser honoriert Tapferkeit, Mut, aber auch Beharrlichkeit. Man kann in den Adel erhoben werden.

Daneben gibt’s auch Stories von Typen, die einem tolle Dinge gegen seltsame Versprechen schenken. Mal soll man eine Schiffsfigur blau anmalen, mal irgendwas anderes Verrücktes tun.

Es gibt einen Grafen von Uster. Uster liegt eh schon einige hundert Meter über dem mächtigen Hafen, der Graf wohnt sogar noch darüber.

Daneben hat es einen Orts-Than/Dorfvorsteher sowie einen darüberstehenden Mitten-Than. Deren Gerichtsbarkeit steht neben der des Grafen, der eine eigene, sehr gut ausgebildete Truppe hat (ähnlich einer Polizei). Neben deren Gerichtsbarkeit stehen noch der Klerus und weitere Machtsäulen.

Andere Ortschaften liegen zum Teil auf kleinen Inseln. Inseln sind teilweise über Brücken verbunden, deren Bau stets ein großes Unterfangen ist.

Sklaverei etc. ist unbekannt.

Zusammenhalt ist wichtig, da wir als Gemeinschaft von vielen Gefahren bedroht sind. Betteln als solches ist unbekannt.

Einige Alte gehen einfach raus, ins Meer, in den Wald oder sonst wo hin, wenn sie meinen, Ihre Zeit sei gekommen.

Erzogen wird man nicht von Eltern, eher von größeren Gruppen. Trotzdem gibt es Individualität, teilweise auch Rivalität. Nur Streitigkeit bis in den Tod ist ziemlich unüblich.

Expeditionen gibt es ebenfalls. Nicht selten sind dies Mischungen aus Karawane und Expedition. Wir bauen Kohl und Wintergemüse an, andere Sachen müssen dagegen importiert werden.

Warenlieferungen haben fast immer Truppen dabei. Gelegentlich auch Ex-Leute vom Grafen oder ehemalige Seeleute, Jäger, etc.

Als Wäscherinnen bezeichnet man bei uns Damen, die ebenso nähen, Felle gerben und tausend andere Dinge können. Sind sehr gebraucht.

Forscher erkunden andere Gruppen, neue Tiere, besondere Tiere, etc.

Skive Seefürst kommt aus Uster. Lokalheld. Hat 10 bis 12 Schiffe.

Irgendwo gibt es auch Seefürsten mit Schiffen bzw. Flotten. Es gibt wohl sogar einen Hochthan.

Schiffe liegen in Grotten. Ein Graf verfügt über 3-5 Schiffe.

Eine Sippe hat im Schnitt rund 30 Leute, plus die Familien drum herum sind das insgesamt etwa 100 Personen. Es hat 12 Sippen. In der Kongregation sind so maximal 2000 Personen, alle anderen, wie Fischer, Seefahrer, Transportleute, Händler etc. mitgerechnet.

Kongregation Waftrudnir sind wohl ein paar mehr.

Uster hat 3000-5000 Seelen, zählt man all die Außengebiete bzw. zugehörigen Mini-Orte hinzu.

Von Feen spricht man eigentlich nicht, ebenso wenig wie Vampire oder Werwölfe. Zauberer gibt es (aber nicht im Sinne von Mage the Ascension).

Ich bin im Jahr 21 nach der Gründung von Vest Manajar geboren. 

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Sage zu Skieve den Seefürsten, nach Rokbur

Natürlich habt ihr schon zahlreiche Geschichten über Skieve Seefürst gehört, von den mutigen Schlachten gegen die Flotten der Jalpur, über seine Suche nach den Skaldaven bis zu den Irrfahrten auf dem Ozean der Tausend Winde.

Mit Kraft, Unverdrossenheit und seinem vielgerühmten Können gelang es dem Seefürsten stets, sich aus der drohenden Gefahr zu befreien, nur um sogleich in ein neues Abenteuer aufzubrechen. Viele der Geschichten sind so unglaublich, dass man sie für Märchen halten mag, zumal sie gern zur Unterhaltung und nicht selten unter dem Einfluss von Getränken erzählt werden, welche der Fantasie ganz unwillkürlich Flügel verleihen. Doch wer kann schon leugnen, dass wir im Krieg lagen mit den Jalpur, dass die Skaldaven auf ihren blutigen Raubzügen so manche Sippe in arge Not brachten und dass der Ozean nun mal gewaltig ist, voller trügerischer Gefahren und gefährlichem Trug?

Wer vermag in diesen Dingen schon den Dorsch vom Kabeljau zu unterscheiden?

Wenn ich euch nun von einer weiteren Begebenheit erzähle, die dem Seefürsten widerfuhr, als er zur Insel Farhövn segelte, dann werdet ihr sie mir vermutlich nicht glauben wollen. Und auch ich hätte meine Zweifel, dass es sich bei den folgenden Ereignissen um mehr als Fabulationen handeln könnte, wenn ich es nicht selbst von einer vertrauenswürdigen Quelle hätte, die gut mit jemandem bekannt war, der selber einen Freund auf des Seefürsten Schiff hatte. Ihr hört es also fast aus erster Hand und wisst, dass meinen Worten in dieser Sache Gewicht zukommt.

Es trug sich wie gesagt zu, dass Skieve mit seinem kühnen Schiff zur Insel Farhövn reiste, wo die Bewohner von Korg ein besonders feines Leder herzustellen wissen, dass sie von großen Seepferden gewinnen, die in den zahlreichen Buchten der Insel zu Haufen leben.

Das wirklich Famose an dem Leder dieser Tiere ist seine samtene Geschmeidigkeit sowie seine Beständigkeit gegen Nässe, eine eher ungewöhnliche Eigenschaft bei Leder, wie jeder weiß. Da die Tiere aber nicht über das Land, sondern vielmehr durch das Wasser reiten, muss es eigentlich wenig verwundern, wenn ihre Haut es versteht sowohl Wasser als auch Salz zu widerstehen.

Skieve zeigte sich sodann auch tief beeindruckt von der Beschaffenheit der herrlichen Häute und verließ das Handelshaus nicht, ehe er mehrere Truhen prall mit dem edlen Material gefüllt hatte. Alsdann rief er seine Mannschaft zusammen und machte sich auf den Rückweg zu seinem Schiff.

Doch kaum hatten Skieve und seine Mannen den kiesigen Strand erreicht, wo das Beiboot auf sie wartete, da versperrte ihnen ein so ungeheuerliches Wesen den Weg, wie noch keiner von ihnen es jemals gesehen hatte. Es wog gewiss an die 400 Steine und maß so viel wie zwei ausgestreckte Männer. Borstiges, schneeweißes Fell überzog die mächtige Kreatur, die sich dort auf zwei flossenartige Arme stützte und sie abschätzig aus runden, kohlenschwarzen Augen betrachtete. Von Gestalt halb Fisch und halb Otter, saß auf einem erstaunlichen Fettbuckel ein halsloser Kopf, der im Vergleich zum übrigen fischschwänzigen Körper fast klein wirkte. Unter einer gewaltigen feuchten Nase sträubten sich lange Schnurrhaare und gefährliche, ellenlange Hauer ragten aus ihrem verächtlich verzogenen Maul.

„Fremder, der Du Dich mit den Häuten meiner Herde davonmachen möchtest, halte jetzt besser ein.“ Grollend tief und schwer verständlich klangen die Worte aus dem großen Schlund des Wesens, mit welchem es nach jedem Satz die Luft seufzend einsog. „Denn ich, Rostar, den die Deinen auch den Eisernen nennen, verbiete Dir die Insel mit dieser Beute zu verlassen und werde Dich hindern, wenn Du Dich widersetzt.“

„Du willst mich daran hindern, mit meinem Gut mein eigen‘ Schiff zu betreten, o großer Rostar? Aber was habe ich Dir getan, dass Du Dich mir in den Weg stellen willst?“, entgegnete da der Seefürst überrascht.

 „Du stiehlst die Häute meiner Brüder und Schwestern, die Dir gewiss nicht gehören.“

„Mitnichten stahl ich sie. Beim ehrlichen Handel erwarb ich die herrlichen Häute bei den guten Menschen von Farhövn.“

„Dann wurdest Du falsch beraten, denn gemäß altem Brauch ist es nicht gestattet, auch nur eine einzelne dieser Häute aus den Gefilden dieser Insel hinfort zu bringen. Und wer es dennoch versucht…“

„Wer es dennoch versucht, den hinderst Du?“

„Den fordere ich heraus. Er soll mir gegenübertreten, um entweder die Felle zu behalten oder mir sein eigenes zu überlassen. Und wollt ihr Euch an mir vorbeistehlen, so versenke ich Euer kleines Boot, noch ehe ihr Euch auf dem offenen Meer vor mir in Sicherheit bringen könnt.“

Da brach ein erschrockenes Raunen unter den tapferen Männern des Seefürsten aus, denn ihnen schwante, dass hier keine leeren Versprechungen gemacht wurden.

Auch Skieve mussten diese Worte tief erschüttern, doch man merkte es ihm nicht an, als er gelassen fragte: „Eine grausige Drohung, die Du da aussprichst. Doch was für eine Herausforderung ist das, bei der es Dich zu besiegen gilt?“

Die mächtigen gelben Hauer der Kreatur blitzten bei seinem Lachen im Licht der Sonne, die gerade über dem Meer hing, als tanze sie auf den Wellen. Mit einer raschen Bewegung seines Schwanzes katapultierte das Wesen etwas Silbriges aus den Wellen und fing es beherzt mit einem Schnappen seines Maules auf. Soeben sah man noch den Rest eines glücklosen Fisches unter den freudig gespreizten Schnurrhaaren verschwinden. 

„Beim Ringkampf in den Wellen, ohne Waffen, nur mit Kraft, Geschick und dem Meer selbst als Waffe. Nach der Sitte meines Volkes“, erklärte Rostar zufrieden schmatzend.

„Du scheinst mir ein wenig im Vorteil, wenn wir im Meer kämpfen. Nicht nur bist Du größer und stärker als ich, das Wasser ist auch dein Element.“, gab Skieve zu bedenken. „Kannst du dich wirklich damit zufrieden geben, Skieve Seefürst nur unter solchen Bedingungen besiegt zu haben?“

„Ha!“ rief da Rostar, der Eiserne. „Was kann ich dafür, wenn ich der Größte und Stärkste bin? Das habe ich mir nicht ausgesucht. Aber ich will Dir entgegenkommen, damit Dein Geist nach dem Ableben nicht ruhelos behauptet, dass ich Dich ungerecht behandelt habe und versucht mich mit Deiner Haut zu erdrosseln, wenn ich mich mit ihr schmücke. Wir wollen in der Brandung kämpfen, wo das Wasser uns umspült und Du dennoch bequem stehen kannst.“

„So soll es denn sein, Rostar. Hier werde ich mit Dir ringen, wenn das Nachtagzwielicht hereinbricht.“

Damit wandte sich Skieve ab und schlug mit seinen Mannen das Lager auf. Rostar aber tauchte zurück in die Wellen und war verschwunden.

 

Als die Sonne versunken war und nur noch ein schwacher Schein am Himmelsrand glühte, stand Skieve schon am vereinbarten Ort. Seine Gefährten hatten ihm den nackten Oberkörper mit Öl eingerieben, damit er für das Ungeheuer schwerer zu Packen war, doch sah man ihren düsteren Minen an, dass sie um ihren mächtigen Herrn fürchteten. Auf seine Hosen und Stiefel hatte der Seefürst nicht verzichtet, sondern ging unbekümmert mit ihnen in die Brandung, wo er den Herausforderer erwartete.

Dieser ließ nicht lange auf sich warten, sondern tauchte bald aus den Wellen auf und sprach so zum Seefürsten: „Nun, Mensch, wie ich sehe, hast Du Wort gehalten und bist tatsächlich erschienen. Wünschst Du weiterhin diese Gefilde mit den Häuten meiner Sippe zu verlassen und mir also im Ringkampf zu begegnen?“

„Du lässt mir wenig Wahl, wenn ich meine Habe behalten möchte, die ich redlich erworben habe.

Ohne weitere Worte traten sich Kreatur und Mensch in der schäumenden Brandung gegenüber, wo das Wasser dem letzteren bis an die Knie reichte.

Rostar eröffnete den Kampf und sprang mit einem markerschütternden Röhren nach vorne, um den mickrigen Menschen unter sich zu begraben. Der Kampf hätte sicher ein schnelles Ende gefunden, wenn Skieve dies zugelassen hätte. Doch er sprang behände beiseite und entging so dem stürmischen Angriff. Rostar aber war nicht nur von kolossaler Größe, sondern auch um einiges geschickter, als man es nach seiner Statur vermutet hätte. Er ließ dem Seefürsten keine Zeit, um sich eine Strategie zu überlegen, sondern wandte sich schnell und sprang erneut auf ihn zu. Wieder entkam Skieve knapp, angespornt von den Rufen seiner Mannschaft. Nachdem ihm die Flinkheit seines Gegners bewusst geworden war, bereitete er sich sofort auf den dritten Angriff vor, der auch wie erwartet folgte. Mit höhnischem Gelächter warf sich Rostar auf seinen zurückweichenden Gegner, um ihn nun endgültig unter sich zu begraben.

„Wie oft kannst du so schnell beiseite hüpfen, kleiner Mann? Denn ich lasse dir keine Ruhe, bis ich Dich zerquetscht habe.“

Skieve duckte sich diesmal unter dem Ansturm des schrecklichen Seewesens hinweg und entkam so erneut knapp dem tödlichen Sprung.

Das schaumige Wasser spritzte weithin, als der Eiserne sein schneeweißes Haupt ärgerlich brüllend schüttelte und sich nach Skieve umsah. Da er ihn nirgends ausmachen konnte, schloss er, dass sein Gegner unter die Wogen getaucht sein musste.

Da schlich sich ein breites Grinsen auf Rostars Lippen. Sein Abtauchen sollte sich als verhängnisvoller Fehler für den Seefürsten erweisen, denn beim Auftauchen würde er natürlich für einen kurzen Moment orientierungslos sein. Mehr Zeit benötigte Rostar nicht, um sich auf ihn zu stürzen und sein Ende zu besiegeln.

Der Eiserne nahm sich vor den wendigen Gegner diesmal nicht entkommen zu lassen und spannte seine riesigen Muskeln zum Absprung an. Er breitete die großen Vorderflossen aus und sah sich so sprungbereit um. Allein – der Mensch blieb verschwunden.

Doch wie er sich so umsah, stieg ihm mit einem Mal der süßeste Duft in die Nase, von köstlichem Tran, dass sich ihm die Schnurrhaare nur so sträubten vor heftigem Verlangen. Begierig sah sich der Riese um, woher der Wohlgeruch wohl strömen mochte. Da sah Rostar gerade noch im Augenwinkel ein silbriges Glitzern. Es war ein herrlicher Thunfisch, der da unbekümmert und in Blindheit für die Gefahr um ihn herschwamm. Kurz zögerte der Eiserne, überlegend, ob er nicht zuerst den Menschen zermalmen sollte, doch seine Begierde war zu stark und so versuchte er des köstlichen Happens habhaft zu werden. Beherzt stürzte er dem schimmernden Fisch hinterher, der ihm immer nur einen einzelnen Flossenschlag voraus zu sein schien. Und in seinem Eifer vergaß er alsbald den Zweikampf, den er begonnen hatte.

Der Seefürst aber, glitt im rechten Moment unbemerkt vom Fettbuckel seines Gegners herab, wo er sich zuvor verborgen gehalten hatte. Er schlich sich eilig aus dem Umkreis des Ungetüms, dass nun vergeblich in wachsendem Eifer suchte, nach dem verführerischen Fisch zu schnappen, den der schlaue Skieve mit zwei Schlaufen an seinen Fangzähnen hinter seinem Rücken befestigt hatte.

Und während sein Herausforderer sich immer schneller drehte, um den Köder zu packen, watete der Seefürst rasch an Land und bedeutet seinen Männern nun schnell und leise das Schiff zu beladen.

Als sie nur wenige Minuten später mit dem Schiff auf das offene Meer gelangt waren und sich umblickten, sahen sie noch immer die weiße Gischt hinaufspritzen, wo Rostar der Eiserne sich vergeblich Mal ums Mal umherwarf.

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Skieve's Mannweihe, nach Rokbur

Um das quadratische Turnierfeld, welches eigentlich nicht mehr war als ein grob abgestecktes Stück Weide mit wenig Gras und viel nasser Erde, standen rund zwei Dutzend frenetisch johlende Jugendliche und spornten die ringenden Wettkämpfer unter lebhafter Demonstration von Schlägen und Tritten an. Kalter Wind peitschte den Nieselregen vor sich her und ließ den Stoff eines großen Baldachins knattern, unter welchem einen Steinwurf weit entfernt gut zwanzig Besucher auf Bänken saßen und dem Geschehen interessiert, doch ohne den Enthusiasmus der jungen Teilnehmer folgten.

Wie in den vergangenen Jahren auch stellten sich die jugendlichen Anwärter bei der Mannweihe verschiedenen Herausforderungen und wetteiferten gegeneinander um die beste Bewertung. Die Beurteilung der Leistungen, welche nach jeweils unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgte, oblag wie auch die Aufsicht über die Einhaltung der Regeln einem erfahrenen Schiedsmann. Diese hochangesehene Rolle bekleidete Einar, ein verdienstvoller Greis, und sein Spruch war Gesetz in allen Belangen des Wettkampfes. Der Alte stand unbewegt am Rande des Kampfplatzes, behielt die letzten beiden Kontrahenten mit stahlblauen Augen im Blick und achtete des Windes nicht, welcher ihm die verbliebenen Strähnen langen, grauen Haars um das gegerbte Gesicht peitschte.

Skieve vermochte die Begeisterung seiner Mitstreiter für diesen Kampf nicht zu teilen. Im Allgemeinen schätzte er Ringkämpfe und fand auch Gefallen daran, sich mit Geschick und Kraft gegen andere durchzusetzen. Ebenso sah er gerne dabei zu, wenn andere sich im Kampfe maßen.

Doch was sich momentan dort abspielte, erinnerte nach seiner Meinung so wenig an einen Kampf, wie die brutalen Spiele, die manche Wale den Berichten einiger Seeleute nach gelegentlich mit Robben trieben.

Den Zuschauern dagegen schien sowohl die Ungleichheit der Auseinandersetzung wie auch das Toben der Jungmänner egal zu sein. In ihren Minen las er nichts als milde Neugier und Gelassenheit. Einige tuschelten miteinander und es wurden Becher heißen Weins herumgereicht, vereinzelt sogar Fischchips. Seit die Mannweihen mit Wettkämpfen verbunden wurden besuchten Interessierte sie, um sich gut unterhalten zu lassen, während sie freilich auch nach talentierten und geeigneten Lehrlingen für ihre jeweiligen Professionen Ausschau hielten.

Die anspornenden Rufe galten im Augenblick einem stämmigen rothaarigen Jungen namens Tammo, der damit beschäftigt war einem ihm an Größe und Stärke deutlich unterlegenen Gegner mit flachsblondem Haar eine bittere Abreibung zu verpassen. Der Ringkampf wurde traditionell mit bloßem Oberkörper ausgetragen, was in der nassen Kälte nur wegen der mit dem Kampf verbundenen Anstrengung erträglich war.

Tammo hatte die dünnen Handgelenke seines Kontrahenten gepackt und dessen Arme verdreht, wodurch er den anderen in den Schlamm hinab zwang. Skieve bemerkte, dass die kurzen, wulstigen Finger des Rothaarigen über eine beachtliche Stärke verfügten. Seine schmalen Augen funkelten unangenehm zwischen den feuchten Haarsträhnen, die ihm im Gesicht klebten wie frische Rotalgen. Im Kampfeseifer verzog er immer wieder die Lippen als führe er ein Selbstgespräch und der Ausdruck auf seinem Gesicht wechselte zwischen Konzentration, Hohn und Schadenfreude.

Skieve seufzte innerlich und schob die Hände unter die Achseln, um sie zu wärmen. Zu allem Überfluss zögerte Tammo den unvermeidlichen Ausgang unnötig hinaus, da er die Demütigung seines Gegners der Wärme trockener Kleidung vorzuziehen schien.

Der Junge in der misslichen Lage war einen guten Kopf kleiner und so dürr, dass man seine Rippen ohne Weiteres durch die Haut zählen konnte. Dem Vernehmen nach war er erst vor Kurzem nach Uster gekommen und Skieve hatte keine Ahnung, wo er vorher gelebt hatte. Auch warum er gleich an den Wettkämpfen teilnehmen musste, obwohl die anderen Wettkämpfer im Schnitt gut zwei Jahre älter waren als er, war ihm nicht bekannt. Zwar gab es kein festes Alter für die Teilnahme. Doch es schien ihm nicht vernünftig, denn der Kleine hatte im Grunde wenig Chancen gegen die Älteren und körperlich überlegenen Konkurrenten. Da es aber nun einmal so entschieden worden war, musste der Kleine jetzt da durch.

Trotz dessen deutlicher Unterlegenheit war Skieve ein wenig enttäuscht von der Leistung des Jungen. Vom Beginn des Kampfes an war seine Gegenwehr rudimentär gewesen. Sie bestand in Skieves Augen aus kaum mehr als unwillkürlichen Schutzreflexen auf Tammos vehemente, doch nicht immer geschickt ausgeführte Angriffe. Hier und da hätte er nach Skieves Meinung Gelegenheit gehabt dem größeren Jungen einen Konter zu verpassen. Dem Kleinen fehlte es aber an Initiative, er versuchte gar nicht erst Tammo anzugreifen. Fast schien es, als hielt er das Ergebnis für unausweichlich und wolle es einfach akzeptieren, es so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Nun fletschte Tammo gerade wütend die Zähne und drückte das Gesicht des anderen Jungen mit dem Ellenbogen tiefer in den feuchten Boden. Auch wenn dieser natürlich von Anfang an kein Gegner für den rothaarigen Favoriten gewesen war, wollte Tammo an seiner Überlegenheit keine Zweifel aufkommen lassen. Möglicherweise provozierte es ihn, dass der andere keine Gegenwehr gezeigt hatte, sondern seinem Gegner den Sieg, den dieser erkämpfen wollte, vielmehr einfach schenkte.

Skieve sah mit einigem Unbehagen zu, wie Tammo die Arme des Unterlegenen weiter verdrehte, damit dessen Kopf nicht nur unten blieb, sondern noch fester in den Morast gedrückt wurde. Sein Gegner war bislang trotz der offensichtlich schmerzvollen Behandlung still geblieben, nun aber entrang sich ihm ein halblautes Stöhnen, welches dank des Schlamms teilweise in ein feuchtes Blubbern überging.

Endlich trat der strenge Schiedsmann in seiner Rolle als Kampfrichter vor und verkündete mit tiefer, rauer Stimme: „Tammo gewinnt.“

Auch als der erklärte Sieger seinen Gegner noch eine kurze Weile festhielt, obwohl der Kampf schon vorbei war, schien Einar davon keine Notiz zu nehmen. Verächtlich gab Tammo schließlich den verdrehten Armen seines Gegners einen Schubs, welcher diesen zwang sich zu überschlagen. Noch bevor der Kleine mit dem Rücken im Matsch gelandet war, hatte Tammo sich bereits umgedreht und war wieder durch den Morast zu seinen Freunden gewatet, um sich dort unter anerkennendem Nicken und mit viel Schulterklopfen feiern zu lassen.

Die übrigen Zuschauer wandten sich ebenfalls ab, nachdem der Kampf nun vorüber war. Nur der im kalten Dreck zitternde Verlierer blieb eine Weile lang einfach schwer atmend liegen. Schließlich erhob er sich und bewegte vor Schmerz ächzend seine Arme und den Kopf hin und her, als prüfe er, ob noch alles an Ort und Stelle sei. Der Junge bedachte seinen Peiniger keines Blickes und schien ihn tatsächlich bereits genauso vergessen zu haben wie dieser ihn. Die soeben durchlebte Demütigung ertrug er mit erstaunlichem Gleichmut. Zumindest erkannte Skieve im Gesicht des Kleinen weder Zorn noch Bitterkeit wegen des Kampfes. Er machte eher den Eindruck, als hake er die Sache einfach innerlich ab.

Der Junge blutete nicht und schien seine Glieder auch sonst noch alle gebrauchen zu können. Eigentlich war der Kampf für ihn damit sogar glimpflicher verlaufen, als Skieve es aufgrund des Gegners zunächst vermutet hatte. Tammo war nicht zimperlich und genoss es zudem vor anderen mit seinem – nach Skieves Ansicht überschaubaren – kämpferischen Können anzugeben. Darum hatte er angenommen, Tammo würde seinen Gegner noch härter rannehmen und ihn schlimmer zurichten.

Es wäre für ihn keine allzu große Überraschung gewesen, wenn der schmächtige Junge in dem Moment aufgeben hätte, als er dem wesentlich größeren Gegner gegenübertreten sollte. Das hätte ihn natürlich vollständig vom Wettkampf disqualifiziert. Allem Anschein nach wollte er jedoch nicht ausscheiden.

So gesehen war es also vielleicht nicht einmal die schlechteste Wahl gewesen das Unvermeidliche nicht hinauszuzögern. Könnte das tatsächlich die Idee hinter seinem defensiven Auftritt gewesen sein?

Kopfschüttelnd verließ Skieve den Platz in Richtung Waldrand und schloss zum Tross der anderen Teilnehmer auf, die dem Schiedsmann und den Erwachsenen bereits zur nächsten Herausforderung gefolgt waren.

Φ

Der Erste Schimmer zeigte sich über den Baumwipfeln, als Skieve schließlich den rauschenden Fluss hinter sich gelassen hatte. Das helle Geräusch des springenden Wassers zerriss förmlich die Stille des Waldes, wo der moosige Boden und die Blätter der niedrigen Zweige alle Geräusche verschluckten. Auf der Anhöhe der Uferböschung blieb er stehen und sog noch einmal tief den frischen Duft des sprudelnden Wassers ein, bevor er sich erneut in das modrige Unterholz begeben musste.

Nachdem Einar ihnen erklärt hatte, dass sie durch den Wald zum nächsten Wegpunkt finden mussten, war ihm wie allen anderen klar gewesen, dass hier einige Überraschungen auf sie warten würden. Immerhin hatte der Schiedsmann die hier und da im Wald verborgenen Wächter erwähnt. Wie der Name es andeutete, waren dies junge Männer und Frauen, die im Wald lauerten und nach den Teilnehmern Ausschau hielten. Kam man ihnen bis auf 20 Schritte nahe, so notierten sie die Namen der Unglücklichen und man erhielt einen Punkteabzug. Daher war es wichtig sie so früh wie möglich zu bemerken, damit man sich vor ihnen verstecken oder gleich einen Bogen um sie machen konnte. Wer das Spurenlesen gut beherrschte, hatte also einen klaren Vorteil.

Jeder Wächter trug außerdem eine Kette um den Hals, an welcher ein Amulett mit einer jeweils unterschiedlichen Rune hing. Dadurch war es möglich besonderes Geschick zu beweisen, indem man sich so nah an einen Wächter heranschlich, dass man die Rune auf dem Amulett zu lesen vermochte. Man musste allerdings auf sechs bis sieben Schritt heran, um die Rune tatsächlich erkennen zu können. Dies brachte zusätzliche Punkte ein, solange man dabei unbemerkt blieb. Es erhöhte freilich auch deutlich die Gefahr entdeckt zu werden.

Skieve lief nun bereits seit Stunden durch den Wald und war dabei zweimal auf Wächter getroffen, denen er unbemerkt aus dem Weg gegangen war. Eigentlich war er kein besonders guter Fährtenleser, doch er hatte ordentliches Glück gehabt. Der erste Wächter hatte hinter einer Baumwurzel gelauert. Ihn entdeckt er, weil der Mann in seinem Eifer einem anderen Teilnehmer hinterher zu blicken seinen Kopf etwas zu weit aus der Deckung gehoben hatte. Der zweite Wächter war eine junge Frau. Sie war auf einen Baum geklettert und hielt von dort durch das Geäst und die Blätter verborgen Ausschau. Sie wurde jedoch durch eine zornige Drossel verraten, der es nicht gefiel, dass jemand auf ihrem Baum saß. Das Gezeter des Vogels hatte Skieve gerettet.

Er war schon erleichtert gewesen die Gefahr aus der Ferne erkannt zu haben und hatte auf den Versuch verzichtet sich noch näher an die beiden heranzuschleichen. Er ärgerte sich ein wenig über sein eigenes Ungeschick und nahm sich fest vor zu erlernen, wie man sich in einer so schwierigen Umgebung leiser bewegen konnte.

Dann war er auf den Fluss gestoßen, dessen Überquerung für die meisten sicherlich die größte Herausforderung bot. Denn wenngleich viele Menschen aus Uster schwimmen konnten, war die Strömung fließender Gewässer oft tückisch und nicht zu unterschätzen. Nicht zuletzt aufgrund dieser Gefahr teilten sich einige Erwachsene die Aufgabe das Treiben der Jugendlichen am Fluss aus der Nähe zu beaufsichtigen. Beobachter standen in festen Abständen an erhöhten Positionen entlang des Ufers und sahen auf die Wettkämpfer hinab, andere sahen den Bemühungen der Jugendlichen von Booten aus zu, um notfalls eingreifen zu können, bevor jemand ernsthaft zu Schaden kommen konnte.

Skieve hatte einige Teilnehmer gesehen, die bei ihrer Ankunft staunend auf das breite Band aus Wasser vor sich starrten, ratlos, wie es nun weitergehen sollte. Die meisten hatten sich früher oder später in Gruppen zusammengetan und behelfsmäßige Flöße zusammengezimmert. Sie trugen einige umgekippte Holzstämme und große Äste aus dem Wald herbei und verbanden sie mit lianenartigen Gewächsen, die man überall im Wald fand. Was dabei herauskam, konnte man kaum als richtiges Floß bezeichnen. Aber häufig taugte es immerhin als Schwimmhilfe für ein paar Jugendliche. Gruppenarbeit war nach den Regeln nicht verboten, sie würde nur zu einer etwas niedrigeren Einzelwertung führen. Dennoch war dies den meisten immer noch lieber als die andere Seite gar nicht zu erreichen.

Natürlich versuchten einige die Überquerung trotz aller Gefahr auf eigene Faust, um ihre Punkte nicht zu teilen. Manche wollten die lianenartigen Gewächse wie ein Lasso über etwas am gegenüberliegenden Ufer werfen. Meist erkannten sie schnell, dass der Fluss dafür viel zu breit und ihr provisorisches Seil zu schwer war, wenn es denn überhaupt die erforderliche Länge besaß. Solche Versuche kosteten letztlich nur Zeit und brachten nichts. Andere wollten sich auf eigene Faust ein Floß zimmern. Skieve hatte auf der Suche nach einer geeigneten Stelle zum Übersetzen nur zwei gesehen, bei welchen die Konstruktion im Sinne ihrer Erbauer zu funktionieren schien. Die meisten Einzelgänger verloren ihre Schwimmhilfe sofort, wenn diese sich im Wasser nach wenigen Metern hektischen Paddelns wieder auflöste. Es war nicht so einfach die einzelnen Hölzer mit dem nötigen Zug und in der korrekten Position mit dem steifen Lianengewächs alleine zu vertäuen, ohne dass sich die Holzteile im Wasser verdrehten und die Knoten sich wieder lösten. Offenbar beherrschten viele zudem nicht die notwendigen Knoten, mit welchen man die ungleichmäßigen Hölzer überhaupt fest vertäuen konnte. Die Konstruktionen der beiden Einzelgänger, welche dem Wasser letztlich standhielten, trieben mit ihren stolzen Erbauern fast ebenso weit ab wie diejenigen, die gleich ganz auf eine Schwimmhilfe verzichteten. Ein Einzelner hatte einfach selten die notwendige Kraft, um selbst an der günstigsten Stelle der Strömung des Wassers auf Dauer zu trotzen. Skieve hatte niemanden gesehen, dem die Überquerung alleine und ohne zu großes Abtreiben gelungen wäre.

War das erst einmal geschehen, musste man in Kauf nehmen, dass anschließend ein weiter Weg durch den Wald wartete, wenn man endlich nass und müde aus dem Wasser gekrochen kam. Und es war eine ganz andere Frage, ob man vom Landungsort noch ohne Schwierigkeiten durch den Wald zum Wegpunkt fand.

Auch er hatte ein eigenes Floß gebaut, doch darin hatte er Übung und es war ihm nicht weiter schwergefallen. Zusätzlich er hatte ein Lianenseil mit einem Ende daran befestigt, das andere Ende zu einer Schlaufe gemacht und es zusammengerollt bereitgelegt. Nachdem er dank seiner Kraft mit dem Floß recht problemlos bis zur Mitte des Flusses gepaddelt war, wurde der Kampf gegen die Strömung allmählich zu anstrengend. Also warf er von dort die Schlaufe des Seils und erreichte von dieser Position recht mühelos einen dicken Ast am anderen Ufer. Dadurch konnte er ein zu weites Abtreiben verhindern und sparte zugleich Kraft.

Nur kurz nach seiner Ankunft hatte er etwa hundert Schritt entfernt ein recht ordentlich gezimmertes kleines Floß bemerkt, mit welchem ein halbes Dutzend Jugendliche an Land kamen. Skieve wollte nicht von ihnen bemerkt werden und verhielt sich darum ganz still, während er ihre Landung beobachtete. Unter ihnen sah er Tammo, den Gewinner des letzten Zweikampfes. In den anderen erkannte er die Freunde des rothaarigen Jugendlichen wieder. Sie hatten sich geschickt aufgeteilt. Vier von ihnen hatten ihre Kleidung auf dem Floß deponiert und schoben das Gefährt schwimmend an. Einer stand auf dem Floß und stieß sie mit einer Stange von Hindernissen ab, während Tammo sie mit einer Art Ruder auf Kurs hielt. Keine schlechte Leistung.

Er wartete ab bis die anderen das Ufer verließen und wollte sich dann ebenfalls auf den Weg machen. Noch einmal warf er von seiner erhöhten Position einen letzten Blick hinab zum Fluss. Obwohl niemand mehr dort zu sehen war, schien das leichte Wanken des Floßes nicht so recht zur Bewegung des Flusswassers zu passen. Verwundert hielt er inne und suchte nach der Ursache des ungewöhnlichen Wippens. Einige der Lianen, mit welchen das Gefährt verschnürt worden war, trieben auf dem Wasser umher. Bei einer der Lianen, welche an der vom Land abgewandten Seite des Floßes unter Wasser verschwand, sah Skieve jedoch mehr Bewegungen als bei den übrigen. Ein Zittern ging durch die Liane und verriet, dass ein größeres Gewicht an dem behelfsmäßigen Seil hing. Plötzlich tauchte ein nasser Kopf aus dem Wasser auf und sah sich vorsichtig um. Der Schwimmer hatte ein Schilfrohr zwischen den Zähnen und zog sich mithilfe der Liane zum Ufer. Er tauchte noch einmal unter die Oberfläche und erschien kurz danach wieder. Nun spuckte er das Schilfrohr aus, welches er wohl als Tauchhilfe genutzt hatte und rollte die Liane auf, die am Ende mit einem improvisierten Haken versehen war. Offensichtlich hatte sich der Teilnehmer heimlich von seinen Konkurrenten mitziehen lassen. Er musste seinen Haken an dem kleinen Floß eingehängt haben, als dessen Erbauer gerade unaufmerksam gewesen waren. Wahrscheinlich war er noch vor dem Ablegen vom anderen Ufer mithilfe seines Schilfrohrs herangetaucht und hatte seinen Haken zwischen die Lianen gesteckt, die das kleine Gefährt zusammenhielten. Da das rasch dahinfließende Wasser dunkel und trüb war, gab es für die Flößer letztlich kaum eine Chance das improvisierte Schleppseil zwischen den eigenen, identisch aussehenden Seilen zu bemerken.

Belustigt stellte Skieve fest, dass der Taucher derselbe Junge war, welchen Tammo am Vormittag verprügelt hatte. Da er mit niemandem zusammengearbeitet hatte, würde seine Flussüberquerung wohl als Einzelleistung gewertet werden, was ihm mehr Punkte einbringen sollte als die Gruppenleistung seines vormaligen Gegners. Er musste schmunzeln. Eine schöne Revanche.

Doch sollte Tammo davon Wind bekommen, wäre dem Jungen eine weitere, weitaus heftigere Abreibung sicher. Kopfschüttelnd setzte Skieve seinen Weg fort.

Φ

Zum Nachtagzwielicht hatten auch die letzten Teilnehmer den Wald endlich überwunden. Man hatte sich wieder vor dem Zelt des alten Einar zusammengefunden, um das ringsherum einige Fackeln im aufgeweichten Boden staken. Sie ließen warme Lichtreflexe über die Gesichter der Versammelten tanzen, während die Umgebung inzwischen nur noch als Schattierungen von unterschiedlich tiefem Schwarz zu erkennen war.

Vom Baldachin der Zuschauer her, wo diese sich wieder auf ihren Bänken niedergelassen hatten und heiße Getränke genossen, waren alle Blicke auf die jungen Wettkämpfer gerichtet.

Nach seiner Rückkehr aus dem Wald kam es Skieve fast so vor, als beobachteten die Gäste sie jetzt noch aufmerksamer. Ihre Unterhaltungen schienen animierter und sogar ein wenig lauter, obgleich man immer noch sehr zurückhaltend blieb, um die Wettstreiter nicht zu stören.

Manche Leistungen schienen den Zuschauern gefallen zu haben. Zudem machte unter den Jugendlichen ein Gerücht die Runde, wonach zwei Wächter ihre Runen-Amulette vermissen sollten. Dass alle beide ihr Amulett verloren haben könnten schien ihm äußerst unwahrscheinlich. Doch was hatte das zu bedeuten? Unter den anderen wurde darüber getuschelt, ob einer sie den Wächtern abgenommen habe. Aber ganz ab von der Frage, ob dies nicht einen Regelbruch darstellen würde, fragte Skieve sich, wie man es überhaupt fertigbringen mochte den Wächtern ihre Amulette zu stehlen. Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu ihrem jüngsten Mitstreiter, der sich so geschickt von Tammo und seinen Freunden über den Fluss hatte ziehen lassen. Er stand nicht weit von ihm entfernt zwischen den anderen Jungen, doch gleichzeitig wirkte es, als stünde er etwas abseits. Während überall mit leisen Stimmen gesprochen wurde, schien sich niemand für ihn zu interessieren. Er wirkte erschöpft, doch ein jeder unter den Teilnehmern sah bei genauerem Hinsehen müde aus und auch Skieve wollte sich nur noch ausruhen. War es möglich, dass dieser kleine Kerl etwas mit dem Verschwinden der Amulette zu tun hatte?

Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als der rüstige Schiedsmann erschien und vor seinem Zelt behände auf ein Fass sprang. Das Licht schimmerte auf seiner hohen Stirn, während das zerzauste Haar und der dichte Schnurrbart ihm einen wilden Ausdruck verliehen. Sein durchdringender Blick wanderte langsam über die Gesichter der Jungmänner.

Der ein oder andere, welcher in den vorangegangenen Prüfungen schlecht abgeschnitten hatte, beeilte sich seinem Auge betreten auszuweichen. Die Stolzeren versuchten ein überlegenes Lächeln aufzusetzen oder reckten ihr Kinn in leicht durchschaubaren Versuchen sich selbstbewusst zu geben in die Höhe, als verlangten sie nach neuen Herausforderungen.

Skieve war zuversichtlich, dass seine heutigen Leistungen recht akzeptabel gewesen waren, hielt den Versuch den alten Schiedsmann mit derartigem Imponiergehabe zu beeindrucken jedoch im besten Fall für kindisch. Als dessen Blick ihn fand, erwiderte er ihn darum einfach höflich.

Nachdem er der Stille etwas Zeit gegeben hatte, hob Einar mit seiner kratzbürstigen Stimme so an, dass auch die weiter entfernt sitzenden Zuschauer ihn gut verstehen konnten: „Ihr alle habt heute schon viele Fähigkeiten demonstrieren können, darunter eure Kenntnisse über Pflanzen und Tiere, eure Kampfkraft sowie euer Können in den Wäldern und zu Wasser. Nun steht euch nur noch eine letzte Aufgabe bevor, bei welcher ihr euer Geschick demonstrieren sollt.“

Mit einer Geschmeidigkeit, die sein Alter erneut Lügen strafte, sprang er vom Fass, nahm eine Fackel auf und Schritt durch die Menge, welche sich gehorsam vor ihm teilte. Vom Rande des Platzes her, der vor einigen Stunden noch den Kämpfen der Jugendlichen gedient hatte, liefen nun zwei Seile hin zu dessen Mitte und bildeten so einen fackelgesäumten Korridor von etwa zwei Schritt Breite. An seinem Ende befand sich ein ebenfalls von Fackeln beschienenes Feld, wo ein halbes Dutzend einfacher Stangen rund einen Meter senkrecht aus dem Boden ragten.

Einar durchmaß den Korridor mit langen Schritten bis zu den Stangen und stellte sich hinter diese, damit ein jeder sie sehen konnte.

„Diese Herausforderung ist ziemlich simpel. Ihr erhaltet zehn Wurfringe wie diesen.“ Er hob einen Ring aus geflochtenem Draht hoch, der im Durchmesser etwa so viel Maß wie eine geöffnete Männerhand. „Hier, am Ende des Korridors, seht ihr im Boden einzelne Stangen, über welche die Ringe fallen müssen, um euch Punkte einzubringen.“

„Am Anfang des Korridors ist eine Linie, die ihr nicht übertreten dürft, wenn ihr werft. Je mehr Ringe am Ende auf derselben Stange liegen, umso besser wird euer Ergebnis.“

Skieve betrachtete die Entfernung von der Linie zu den Stangen. Es waren vielleicht sieben oder acht Schritte. Sicher würde es gar nicht so einfach sein die Stangen zu treffen, geschweige denn mehrmals dieselbe. Dennoch schien die Aufgabe im Vergleich zu den Vorangegangenen fast trivial. Angesichts des nahenden Endes dieses anstrengenden Tages war er jedoch nur froh, dass man nichts Mühsameres von ihnen verlangte.

„Geht nun in das große Zelt, wo es trocken und wärmer ist. Da wir nur eine Bahn haben, müsst ihre nacheinander antreten. Ich werde nach euch schicken, wenn ihr an der Reihe seid.“

Unter freudigem Gemurmel folgten die Anwesenden diesem willkommenen Kommando des alten Schiedsmannes.

Skieve wollte ebenfalls bereits zum großen Zelt gehen, als er den neuen Jungen bemerkte, der stehengeblieben war und weiterhin nachdenklich auf den präparierten Platz blickte.

Für einen Moment zog er in Erwägung ihn anzusprechen. Doch noch während er zögerte, erschien Tammo mit seinen Anhängern, die ebenfalls zum Zelt marschierten. Als der kräftige Halbwüchsige seinen vormaligen Gegner im Ringkampf bemerkte, verlor er keine Sekunde, sondern rempelte ihn im Vorbeigehen so hart mit der Schulter an, dass dieser ins Stolpern kam und fast auf den feuchten Acker fiel.

„Hey, Kleiner, jetzt fragst du dich sicher, ob du überhaupt so weit werfen kannst, was?“

Er sprach ohne die Stimme zu erheben, wohl um die Erwachsenen nicht zum Eingreifen zu nötigen. Im vernünftigen Rahmen war Rivalität nicht nur geduldet, sondern vielmehr erwünscht. Doch dies hier empfand Skieve als stillos und es war nicht auszuschließen, dass sich auch andere daran stören würden.

Kurz dachte er daran Tammo davon abzuhalten den kleineren Jungen erneut zu demütigen. Er machte bereits einen Schritt auf die beiden zu.

Zu dessen Selbstwertgefühl würde er mit seinem Eingreifen freilich nicht beitragen. Es gehörte zum Erwachsenwerden sich zu behaupten, auch wenn der Gegner stärker war. Eine bittere Lektion, allerdings auch eine notwendige. Dennoch, der Junge kannte die hiesigen Gebräuche vielleicht noch nicht und außerdem war auch Tammo nicht alleine.

Doch der ältere Junge hatte sich schon von seinem Opfer abgewandt und war weitergegangen, nachdem der Junge den Kopf hängen ließ und nicht auf die Sticheleien reagierte.

Zum Streiten gehören immer zwei, hatte schon seine Ahnin gewusst. Und sie hatte wohl mal wieder recht gehabt. Also beschränkte er sich darauf dem Jungen aufmunternd zuzunicken als dieser ihn bemerkte, was von ihm mit einem schwachen Grinsen quittiert wurde.

Als er sich dem Zelt zuwenden wollte, um den übrigen Wettstreitern zu folgen, vernahm er hinter sich Einars Stimme: „Ihr beiden bleibt hier, ihr könnt gleich als Erste beginnen.“ 

Seufzend machte Skieve also wieder kehrt und ging zum Schiedsmann, um sich der letzten Herausforderung zu stellen.

Φ

Der letzte Drahtring verließ seine Hand in einer eleganten Kurve, während er sich leise sirrend drehte. Nach vorne lag er etwas höher in der Luft, wodurch er gerade noch über einen der Stäbe hinwegflog, auf welchem bereits zwei weitere Ringe gelandet waren. Die Rückseite des Wurfrings klickte leise gegen die Spitze des Erdstabes und der Drahtring drehte sich schnell und gleichmäßig wie ein Kreisel um den Stab, während er daran herunterrutschte.

Drei Ringe auf einem Stab, zwei auf einem anderen und zwei auf je einem Stab. Drei Ringe lagen auf dem Acker. Zwei waren an Stangen abgeprallt, einer war gänzlich an den Zielen vorbeigeflogen.

Ob das Ergebnis genügte? Skieve war sich zunächst nicht sicher, doch in der Mine des Schiedsmannes zeigte sich Anerkennung, als dieser auf ihn zutrat.

„Ausgezeichnet, Skieve!“

Erleichtert grinste er und trat von der Linie zurück, während ein Helfer die Ringe wieder einsammelte. Wie er schon vermutet hatte, war es auf die Entfernung überhaupt nicht einfach gewesen, die Erdstangen mit den Ringen zu treffen. Ihm war sofort klar gewesen, dass man sehr darauf achten musste, wie die Drahtringe während des Fluges in der Luft lagen. Senkte sich ihre Vorderseite, hatte man kaum noch Chancen sie über einen Stab zu bekommen. Auch das Zielen war auf die Entfernung alles andere als einfach.

Er riskierte einen Blick zu den Reihen der Zuschauer und sah wie einige miteinander tuschelten. War das ein gutes Zeichen? Oder doch eher ein schlechtes?

Etwas verlegen rieb er sich den Nacken. „Danke, Einar.“ Der Schiedsmann klopfte ihm wohlwollend auf den Rücken.

„Du hast ein gutes Auge, Skieve. Und außerdem eine ruhige Hand. Lass mich mal sehen“, er blickte auf eine Tafel, die er in der linken Armbeuge hielt. Sie war zu einem großen Teil in einer säuberlichen Handschrift mit Kreide beschrieben worden. Skieve erkannte Tabellen voller Namen und Zahlen. Einen Moment lang rechnete Einar grummelnd. „Ja, das wird ein gutes Gesamtergebnis!“, meinte er dann.

Skieve spürte, wie Wellen der Erleichterung ihn durchflossen. Zwar sagten alle, dass die Wettkämpfe dazu dienen sollten die Eignung der Jungmänner zu prüfen, bevor die Ahninnen ihre künftigen Berufe für sie wählten. Zugleich wusste jeder, dass dies nur einen Teil der Wahrheit darstellte. Natürlich waren die Zuschauer auch nicht einfach nur dazu angereist, um einem Haufen Jugendlicher dabei zuzusehen, wie sie Prüfung um Prüfung ablegten. Die Männer und Frauen unter dem Baldachin waren hier, weil auch sie nach geeigneten Anwärtern für ihre jeweiligen Berufe suchten. Nicht selten waren infolge der Wettkämpfe Angebote an die Ahninnen herangetragen worden, die sich um die Ausbildung des ein oder anderen erfolgreichen Teilnehmers drehten. Es konnte entscheidend sein, wie gut man sich bei diesen Herausforderungen anstellte. Und Skieve hatte recht konkrete Ziele, die sich nicht mit einer Ausbildung in einem Beruf des Handwerks oder der Landwirtschaft begnügten.

„Deine Ahnin wird sicher stolz auf Dich sein, Junge!“

„Hm, das würde mich sehr freuen.“

Er bemerkte, wie der Blick des Schiedsmannes über seine Schulter wanderte.

„Ah, bereits fertig?“

Skieve wandte sich um und sah den Kleinen auf sie zukommen. Stirnrunzelnd überlegte er, ob der Junge überhaupt genug Zeit für zehn Würfe gehabt haben konnte. Wie lange hatte er mit dem Alten gesprochen?

Erst jetzt viel ihm auf, dass die murmelnde Unruhe aus den Reihen unter dem Baldachin noch lauter geworden war. Der Junge trat auf Skieve zu und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen, die dieser reflexartig ergriff und schüttelte.

„Hey. Ich wollte mich nochmal bedanken, dass Du mir vorhin helfen wolltest.“

Skieve hatte das Gefühl irgendwie einen Schritt hinterher zu sein, als sei ihm etwas Wesentliches entgangen. „Wieso? Ich habe doch nichts gemacht“, gab er zurück.

„Stimmt, aber ich hab‘ bemerkt, dass Du darüber nachgedacht hast. Ich war froh, dass Du Dich dagegen entschieden hast. Sonst hätte ich ziemlich blöd ausgesehen. Als könnte ich nicht auf mich selber aufpassen.“ Der Junge grinste verlegen und strich sich einen Schopf blassblonder Haare aus dem Gesicht. „Wo ich herkomme, wird darauf nämlich echt Wert gelegt.“

„Hmm. Ja, ist hier nicht viel anders. Hab aber schon am Fluss bemerkt, dass Du gut alleine klarkommst.“

Das Raunen der Zuschauer war immer noch nicht abgeebbt. Stirnrunzelnd sah Skieve zum Wurfplatz, wo der Helfer, der die Ringe einsammeln sollte, an einer Schnur nestelte, die am oberen Ende eines Erdstabes befestigt worden war. Er erkannte sofort eine der dünnen Lianen, wie sie fast alle im Wald genutzt hatten, um die Flöße zu vertäuen. Am Fuß des Stabes bemerkte er einen Haufen Drahtringe. Er konnte sie auf die Entfernung nicht zählen, war sich aber sicher, dass es zehn sein würden.

Bei den Ahnen! Wie…? Er rief sich noch einmal Einars Worte ins Gedächtnis: „…eine Linie, die ihr nicht übertreten dürft, wenn ihr werft…“.

Er hatte nie gesagt, dass man die Linie nicht übertreten durfte. Nur beim Werfen musste man sich dahinter befinden. Genau genommen hatte er jedoch auch nicht gesagt, dass man werfen musste… Augenscheinlich hatte der Kleine erst die Liane um die Spitze des Stabes gebunden, war hinter die Linie am Anfang der Bahn zurückgekehrt und hatte die Ringe einfach über seine behelfsmäßige Schnur rutschen lassen. Da begriff er.

„Das war gar keine Geschicklichkeitsprüfung. Oder zumindest nicht nur.“ In seiner Überraschung sprach er den Gedanken laut aus.

Er studierte den anderen Jungen erneut, der etwas verlegen aussah und mit den Schultern zuckte.

„Als Du ‚Geschick‘ gesagt hast, meintest Du nicht unser körperliches Geschick“, wandte sich Skieve an Einar.

Nun war es an dem Alten, ihn mit zusammengekniffenen Augen zu mustern. „Ah, Du hast Potential, mein Junge. In manchem mehr, in anderem weniger. Aber auf jeden Fall Potential.“ Und mit der Andeutung eines Lächelns fügte er hinzu: „Dafür, dass Dir das nicht früher eingefallen ist, Skieve, hast Du die Aufgabe noch wirklich gut gelöst.“

Das traf vermutlich sogar zu. Wie waren wohl die Chancen, dass die anderen diese Aufgabe besser lösen würden?

„Was hast Du aus dieser Aufgabe gelernt?“ Einars Frage kam unerwartet. Sie war nicht typisch für den Schiedsmann, der bislang abseits der Herausforderungen nie viel mit ihm oder sonst einem Teilnehmer gesprochen hatte. Vielleicht tat er das aber auch nur nicht, solange ein Teilnehmer noch nicht alle Herausforderungen absolviert hatte.

Er dachte einen Moment nach und meinte: „Hmm, das ich besser zuhören muss?“

„Das wäre wahrlich nicht schlecht, denn das ist eine Tugend, die nur wenige beherrschen“, räumte der Alte ein und seine Zähne blitzten unter seinem Bart in einem wölfischem Grinsen. 

Etwas ernster fuhr er fort: „Allerdings ist es eine Sache die Regeln zu kennen und eine ganz andere sie zu verstehen. Du kanntest sie, er“, der Schiedsmann wies mit dem Kopf zu dem Neuling, „hat sie verstanden“.

Dann hob er eine graue Augenbraue und blickte den Jungen unverwandt an. „Zwei Wächter verlieren ihre Runen-Amulette, welche jenen, die sie auszuspähen vermögen, mehr Punkte einbringen sollen. Und zufällig verbargen sich beide Wächter genau entlang der Route, die Tammo mit seiner Gruppe nahm. Man könnte also meinen, dass er oder einer seiner Freunde etwas mit dem Verschwinden der Amulette zu tun hatten. Doch keiner von ihnen wusste die Runen zu beschreiben, die auf den Amuletten waren.“

Der Junge besaß die Geistesgegenwart zu erröten.

„Ich vermute mal, dass Du sie mir durchaus beschreiben könntest, das aber gar nicht nötig hast, weil Du sie mir genauso gut geben kannst.“ Einar hielt beiläufig eine Hand auf. „Genauso, wie Du mir erläutern könntest, dass die Regeln ein solches Manöver nicht verbieten. Stimmt‘s?“

Zwei Amulette aus polierter Bronze fanden ihren Weg in die Hand des Schiedsmannes.

„Ja, Meister Einar. Ich hoffe, die Regeln da richtig verstanden zu haben.“

Einar schüttelte mit einem leisen Lachen den Kopf. „Ich bin nur froh, dass wir nicht noch mehr Regeln in diesem Wettstreit haben. Mein Gefühl sagt mir, dass sie einen unerklärlichen Reiz auf Dich ausüben. Wie ein schönes Gewässer voller Klippen, die es zu umschiffen gilt. Naja, immerhin besser als mit ihnen zu kollidieren.“

Mit diesen Worten sah er zu dem Helfer hinüber, welcher die Liane inzwischen entfernt hatte und ihm zunickte. Er nickte zurück und wandte sich noch einmal an die Jugendlichen vor ihm: „Los jetzt. Geht Euch aufwärmen und schickt mir die nächsten Teilnehmer raus.“

Sie folgten seiner Weisung und wandten sich gemeinsam dem Zelt zu. Hinter ihnen ergänzte Einar halblaut: „Außerdem ist mir durchaus klar, dass Du nachsichtig warst, denn Du hast darauf verzichtet die Wachen einfach auf sie aufmerksam zu machen.“

„Mhh. Falls Tammo rausbekommt, was Du angestellt hast, wird er Dich den Slat zum Fraß vorwerfen.“ Skieve sprach mit absoluter Gewissheit.

„Stimmt wohl. Hoffentlich findet er es nie heraus.“

„Von mir erfährt er ganz bestimmt nichts. Übrigens, wie heißt Du eigentlich? Ich bin Skieve.“

„Flemming. Freut mich, Skieve! Und danke.“

Die Erleichterung des Jungen war deutlich zu spüren. Skieve dachte einen Moment nach und meinte dann: „Ich mache Dir einen Vorschlag: wenn wir uns gegenseitig den Rücken freihalten, gilt das nicht als Schwäche. Was hältst Du davon?“

Als Skieve seine Hand darauf anbot, schlug Flemming grinsend ein. „Deal!“

 

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Skieves Wahl, nach Rokbur

Als ich Levantes pockennarbiges Gesicht unter den Zuschauern entdeckte, wusste ich schon, dass uns Ärger erwartete. Rasch blickte ich wieder geradeaus und lächelte fröhlich während ich den Zuschauern zuwinkte, die den Wegesrand am Eingang zur Stadt Uster säumten. Wenn mein Lächeln für sie so gezwungen aussah, wie es sich für mich anfühlte, würde man sicher annehmen, ich hätte etwas Falsches gegessen.

Aus dem Augenwinkel versuchte ich zu sehen, ob Levantes uns beobachtete. Und tatsächlich, der breitschultrige Soldat mit dem schmutzbraunen Bürstenhaar starrte uns unvermittelt über die Schulter eines anderen Mannes in militärischer Kleidung hinweg an. Seine dunklen Augen blitzten vor Häme und er grinste spöttisch.

Großartig. Levantes hatte mich und meine Freunde fast ein ganzes Jahr lang geschunden. Es war die schier endlose Grundausbildung beim Militär gewesen, die alle Jungmänner mitmachen mussten. Und er war der selbsternannte „härteste Hund“ dort, in Wahrheit aber nur ein selbstherrlicher Mistkerl, der gerne andere anschrie und es nicht ertragen konnte, wenn ihn jemand übertraf. Die Ausbildung war gerade einmal seit ein paar Wochen vorüber und ich hatte gehofft seine Visage niemals wieder zu sehen. Ein Blick zur Seite verriet mir, dass Skieve ihn nicht bemerkt hatte. Er winkte jedenfalls weiterhin mit entspannter Mine den Schaulustigen zu.

Unsere Gruppe bestand aus nur vierzig Jungmännern, doch hunderte waren gekommen, um uns zu sehen und zu begrüßen. Die hohen Mauern und die ungewohnt schönen Gebäude fesselten obendrein den Blick so sehr, dass es mich wenig wunderte, wenn Skieve seinen alten Schinder in dieser Menge übersah. Von überall her riefen die Menschen uns etwas zu, Kinder wurden hochgehoben und Hände applaudierten laut. Als ich verstohlen erneut zu der Stelle blickte, wo unser alter Ausbilder gestanden hatte, sah ich, wie er respektvoll vor dem anderen Militär das Haupt senkte, bevor er sich zu ihm hinüberneigte, in unsere Richtung wies und ihm etwas sagte. Die Stirn des anderen Mannes legte sich leicht in Falten und er lauschte aufmerksam Levantes‘ Worten. Ergrautes Haar, dunkelblauer Mantel, das Zeichen des Grafen darauf und Levantes kroch im förmlich in den Arsch. Das konnte nur der Gesandte des Militärs sein, der sich die Jungmänner ansehen sollte, um mögliche Vorbehalte auszusprechen. Mit Mühe unterdrückte ich den Wunsch weiter hinzuschauen, obwohl es ohnehin nichts genutzt hätte, denn von dem Gespräch konnte ich sowieso nichts hören.

 

Als wir später in der Schlafbaracke saßen erzählte ich Skieve von meiner Beobachtung und meinen Befürchtungen in Bezug auf Levantes Absichten.

„Hmm. Meinst Du nicht, dass Du etwas übertreibst, Flemming? Ich will ja nicht abstreiten, dass Levantes uns ganz schön übel mitgespielt hat, aber das liegt nun hinter uns. Inzwischen hat er sicher neue Jungs, die er quälen und anschreien kann. Was soll er sich noch für uns interessieren?“

Mit verschränkten Beinen wippte Skieve auf einem Hocker, der eigentlich für kleinere Personen gemacht zu sein schien. Dank seiner hünenhaften Statur wirkte er häufig wie der einzige Erwachsene unter Kindern, selbst dann, wenn nur ausgewachsene Kerle um ihn herum waren. Auch das hatte natürlich zu der besonderen Abneigung beigetragen, die Levantes während der gesamten Ausbildungszeit gegenüber Skieve zur Schau trug. Mir schien als verwand er es nur schwer, dass er den Kopf in den Nacken legen musste, um einen Rekruten anzubrüllen.

„Nein, nein, nein“. Ich unterstrich meine Worte mit heftigem Kopfschütteln. „Wenn es nur um mich ginge, hättest Du vielleicht recht. Vielleicht! Aber Dich hasst er wirklich. Du hast ihn schlicht ein paar Mal zu häufig schlecht aussehen lassen. Und nicht selten vor den anderen Rekruten!“

Skieve blickte nachdenklich in seinen leeren Becher. Ich sah, dass er nicht überzeugt war. Herrje, er konnte den aufziehenden Sturm an einem wolkenlosen Himmel lesen, aber den Zorn eines Mannes erkannte er nicht einmal dann, wenn dieser ihn wütend anstarrte. Immer der Optimist…

„Hör mir zu, mein Freund: ich weiß, Du denkst, Du hast ihm nichts getan, wofür er Dich hassen sollte. Ich kenne Deine Gedankengänge nur allzu gut. Wann immer er Dir eine Strafe zugedacht hat, hast Du sie ohne Klagen akzeptiert und erledigt. Als er Dich mal zur Strafe für eine Tat, die Du gar nicht begangen hattest im vergangenen Winter eine ganze Nacht draußen verbringen ließ, hast Du auch das akzeptiert. Dann bist Du am nächsten Morgen einfach wieder hereingekommen, als sei nichts gewesen.“

„Was hätte ich mich denn beschweren sollen? Das hätte auch nichts geändert. Es war zwar ungerecht, weil ich wirklich nichts getan hatte. Aber Levantes hielt meine Einwände für Ausreden und nichts hätte daran etwas geändert. Ich bestreite auch nicht, dass er mich nicht mochte, die Ahnen mögen wissen warum. Ich wollte die Sache einfach nicht weiter eskalieren lassen.“

„Nicht eskalieren? Dann hättest Du vielleicht nicht so tun sollen, als habe es Dir nichts ausgemacht die ganze Nacht draußen in der Kälte rumzustehen!“

Für einen Moment blickte Skieve mich perplex an. Dann rieb er sich verlegen den Nacken. „Vermutlich hast Du recht“, räumte er schließlich ein, „damals hielt ich es wohl für eine gute Idee keine Schwäche zu zeigen.“

„Es war aber keine gute Idee, Skieve. Es hat Levantes noch wütender gemacht, doch gleichzeitig konnte er sich nicht darüber beschweren. Ganz ähnlich wie bei unserer Gelände-Übung ein paar Wochen darauf.“

„Ich habe nie verstanden, was ihn da so verärgert hat. Wir sollten uns verstecken. Das habe ich getan, und wohl nicht zu schlecht, denn er hat mich stundenlang nicht gefunden. Seine Behauptung, er habe die ganze Zeit über gewusst wo ich mich versteckt hatte, war doch eine für jeden durchschaubare Lüge. Ich habe jedenfalls nichts falsch gemacht.“

Ich musste schmunzeln und schüttelte den Kopf. „‘Falsch gemacht‘ hast Du im Grunde nichts. Eher das Gegenteil. Und das kann für einen Ausbilder genauso frustrierend sein. Ist Dir denn wirklich nicht aufgefallen, wie stinksauer Levantes hinterher auf Dich war?

Wir sollten uns im Gelände verstecken, damit er uns unsere Fehler vor Augen führen konnte. Du hast natürlich angenommen, es sei darum gegangen unser Können zu demonstrieren. Dabei war der alleinige Zweck der Übung, dass wir seine Überlegenheit erkennen und akzeptieren sollten. Seine ganze Voransprache lief doch schon darauf hinaus. Und dann konnte er Dich trotz seiner hochtrabenden Ankündigung unseres zu erwartenden Versagens nicht finden.“

Die bloße Erinnerung an Levantes Wutausbruch war überaus erheiternd. Damals war es nicht besser gewesen, ich hatte mir das Grinsen beim besten Willen nicht ganz verkneifen können. Ich hatte die Hoffnung, dass Levantes die aus dem Versuch des Unterdrückens resultierende Grimasse als Ausdruck des Stolzes akzeptieren würde, weil jemand aus unserer Gruppe seine Fähigkeiten als Fährtenleser übertroffen hatte. Natürlich durchschaute er mich und verteilte in der Folge seinen Zorn – wie meistens – gleichmäßig auf Skieve und mich.

„Mhh, Du meinst“, holte Skieve mich in die Gegenwart zurück, „ich hätte mich schlechter verbergen sollen, damit er Recht behält und mich findet? Wenn ich das getan und er es bemerkt hätte, wäre er doch noch viel wütender geworden. Vielleicht übertreibst Du da auch ein wenig. Ich denke schon, dass es darum ging, dass wir unsere Talente zeigen. Es ging nicht nur um eine Demonstration seiner Fähigkeiten.“

„Mag schon stimmen, dass Levantes ausgeflippt wäre, wenn er gemerkt hätte, dass Du Dich von ihm absichtlich finden lässt. Aber Du hättest es sicher geschafft das zu vermeiden, wenn Du es darauf angelegt hättest. Du bist geschickt genug, wenn Du es Dir in den Kopf setzt.

Sich stattdessen nur einige Meter entfernt von seinem Lager zu verbergen, hat ihn einfach nur unfähig aussehen lassen. Deswegen war er wohl auch so angepisst.“

Es war leicht zu erkennen, dass meine Worte Skieve erreichten. Er blickte zur Seite und zog eine Grimasse. „Hmm ja, wenn Du es so hinstellst, dann höre ich Dich.“

„Niemand kann behaupten, dass Du gar keinen Verstand hast“, stichelte ich meinen Freund, „nur könntest Du manchmal etwas mehr…, nun, … ‚soziales Einfühlungsvermögen‘ an den Tag legen.“

„Gut, wir sind uns also einig, er wird mich nicht sonderlich mögen. Aber ich glaube nicht, dass er mir deswegen heute noch eins auswischen möchte, wie Du es vermutest. Er hat mich sicher schon vergessen.“

„Skieve! Es ist doch erst wenige Wochen her, dass Du bei der Abschlussprüfung seinen Stolz ein weiteres Mal tief gekränkt hast!“

“Was? Was habe ich denn da schon wieder Schlimmes getan?“

„Na Du hast die Preisflasche gefunden!“

„Dazu war sie schließlich auch da! Und was daran soll Levantes nicht gefallen haben? Wenn seine Zöglinge bei solch einem Spiel gewinnen, fällt der Ruhm doch auf ihn zurück.“

„Es sei denn, er hatte dafür sorgen wollen, dass wir nicht gewinnen.“

Wieder sah mich Skieve etwas verständnislos an. „Warum in aller Welt sollte er das wollen?“

„Du hattest ihn zu diesem Zeitpunkt schon so oft vorgeführt, er wollte einfach nicht, dass Du in der Abschlussprüfung gut dastehst. Naja, und ich habe gehört, dass er eine Wette gegen uns laufen hatte. Ganz inoffiziell natürlich.“

Ein Ausbilder, der gegen seine eigenen Rekruten wettet war schon eine ziemlich heftige Geschichte und Skieve begriff das sofort, wie ich sah. Würde so etwas öffentlich, könnte es üble Konsequenzen in alle möglichen Richtungen und für alle Beteiligten haben. Die Reaktion meines Freundes sagte viel über ihn. Er stellt nicht in Frage, was ich ihm offenbart hatte, sondern akzeptierte es, weil es eben von mir kam. Wir hatten gelernt uns zu vertrauen. Ich wusste manchmal mehr als andere, er konnte manchmal mehr als andere. Wir sprachen nie über die Einzelheiten, wo der andere sein Wissen oder seine Talente herhatte. Keine unnötigen Fragen, unter anderem machte gerade das ihn zu so einem guten Gefährten.

„Der Drecksack.“ Mit etwas mehr Wucht als notwendig brachte Skieve seinen Becher auf die Tischpatte.

„Jep.“ Ich nickte weise. „Das sollte Dich eigentlich kaum überraschen. Wenn der Charakter das Rückgrat stärkt, dann ist Levantes ein Wurm. Was meinst Du, warum er die verdammte Preisflasche in einem Bach versteckt hatte. Er war sich sicher, dass sie niemand dort suchen, geschweige denn finden würde. Oder zumindest nicht, solange er niemandem einen Tipp gab. Dass Du die Flasche vor dem Typ finden würdest, dem er einen Tipp gab, war für ihn schlicht unvorstellbar.“

„Hmm, schön, er mag mich vermutlich also immer noch nicht. Trotzdem glaube ich nicht, dass er seine Zeit darauf verschwendet mir Steine in den Weg zu legen. Er ist sicher einfach froh, dass sich unsere Wege jetzt endlich getrennt haben.“

Noch bevor ich Skieve antworten konnte, öffnete sich die Barackentür und zwei junge Männer duckten sich nacheinander durch den niedrigen Türrahmen. Jomander, genannt Jojo, war ein langer, hagerer, aber durchaus kräftiger Kerl mit sehnigen Armen, einem breiten Grinsen und einer prominenten Hakennase. Sein lockiges Haar war ungewöhnlich dunkel, eine Eigenart der Dijan, was ihm in der Damenwelt angeblich einigen Zuspruch bescherte. Er schlenderte zu uns an den Tisch und stützte sich lässig auf die Lehne eines freien Stuhls.

„Eyyy?“, fragte er betont gedehnt. Seine Stimme klang wie üblich etwas heiser. „Was geht‘n bei Euch?“

Der zweite Mann trat neben ihn, ließ seine Tasche fallen und stemmte eine Hand in die Hüfte. Gunnar sah aus, als könne er ein Ochsenjoch alleine ziehen, mit einem breiten ehrlichen Gesicht, kurzen blonden Haaren und einer auffälligen Lücke zwischen den Schneidezähnen, die ihm trotz seiner Statur ein jugendliches Aussehen verlieh.

„Na Jungs?“ Er nickte uns über Jojos Schulter freundlich zu.

Skieve erwiderte den Gruß und schob mit dem Fuß zwei Stühle vom Tisch ab, damit sie Platz nehmen konnten.

„Bei uns recht wenig“, gab ich zurück, „wir haben unser erstes Gespräch erst morgen. Bei einem Typen namens Vaako. Oder Vagu.“

Jojo folgte Skieves wortloser Einladung und ließ sich lässig in einen der Stühle gleiten. Neben ihm hob Gunnar ein massiges Bein von hinten über die Lehne des anderen Stuhls und rang dem Holz ein Ächzen ab, als er auf den Sitz fiel. Ich bemerkte, dass Jojos Grinsen bei meinen Worten noch breiter geworden war.

„Ey, was für ein Zufall, nich‘?“ Er warf seinem Freund einen bedeutsamen Blick zu. Gunnar nickte beiläufig, während er sich einen leeren Becher aus dem bereitgestellten Gedeck in der Tischmitte nahm und ihn aus einem Krug mit Wasser füllte. Gunnar war nie ein Mann vieler Worte gewesen.

Als Jojo erkannte, dass Gunnar den Faden nicht aufgreifen würde, setzte er seinen Bericht schließlich selber fort: „Wir kommen nämlich gerade von V-a-r-g-u-r. Im Namen des Grafen.“

„Oh?“, fragte ich und bemerkte, wie auch Skieve interessiert aufmerkte, „Heute schon?“

„Jaaa, heute schon. Wir hamm‘ auch erst kurzfristig erfahren, dass wir schon heute mit wem sprechen sollten, nich‘? Dieser Vargur ist vom Militär.“

„Und?“, hakte Skieve nach, „Wie war es? Was hat man Euch gefragt? Meint Ihr, dass er für Euch einen Vorbehalt einlegen wird?“

Jojo lehnte sich langsam zurück und machte eine abschätzende Mine. „Vielleicht, möglich. Aber weißt Du, wenn er an uns interessiert gewesen wär‘, dann hätten wir wohl mehr über uns geplaudert. Hamm‘ wir aber nich‘. Er hat uns nämlich hauptsächlich Fragen zu Dir gestellt.“ Er zeigte mit dem Finger auf Skieve und sein übliches Grinsen geriet leicht in Schieflage. „Ja, Mann, er wollte von uns vor allem was zu Dir hören.“

„Wie, ‚zu mir‘?“ Es geschah nicht häufig, dass ich Skieve fassungslos sah, aber dies war so ein Moment. Mit dieser Entwicklung hatte er überhaupt nicht gerechnet und es erschütterte ihn.

„Was gibt es da groß zu fragen? Über mich kann er doch alles im Bericht von Levantes und meinen früheren Ausbildern lesen.“ Mir fiel auf, dass Skieve etwas fahl aussah und ich konnte mir vorstellen wieso. Er war versessen nach dem Meer, konnte sich gar keine Zukunft ohne Planken unter den Füßen vorstellen. Sollte ihm dies jemand nehmen wollen, würde er es kaum ertragen. Ich verstand es, denn mir ging es nicht anders.

Das Militär fuhr zwar gelegentlich auch zur See, doch das war natürlich nicht seine Hauptaufgabe. Würde das Militär nun einen Vorbehalt für einen von uns aussprechen, wäre das ein absoluter Alptraum. Da wir gerade im Krieg mit den Jalpur lagen, kam einem Vorbehalt des Militärs obendrein ein noch größeres Gewicht zu als sonst. Denn von ihm hing unser aller Sicherheit ab. Sollte ein Vorbehalt auf Skieve ausgesprochen werden, würde kaum etwas sein Schicksal noch ändern können.

Ich konnte deutlich sehen, wie ein Gedanke den anderen in Skieves Kopf jagte und er sich der drohenden Gefahr immer mehr bewusst wurde.

„Mach‘ Dir mal keine Sorgen, ich hab‘ bestimmt nichts Schlechtes über Dich gesagt“, versuchte Gunnar ihn zu beruhigen. Sogar ihm war Skieves Reaktion nicht entgangen, wenn er sie auch missverstand.

Jojo dagegen begriff richtig, was Skieves sorgte und er blickte Gunnar mit einem Ausdruck an, als sei sein großer Freund ihm gerade auf den Fuß getreten.

„Ich hab‘ diesem Vargur gesagt, dass ich nicht so viel über Dich weiß, weil Du meistens in ‘ner anderen Gruppe unterwegs warst.

„Hat er wohl geschluckt. Jedenfalls hat er bald aufgehört mir Fragen über Dich zu stellen“, schob er beruhigend nach.

Ich tauschte einen Blick mit Jojo, während Skieve ratlos seine Hände betrachtete, die auf der Tischplatte lagen. Uns war klar, dass unser Freund um seinen Traum fürchtete.

„Levantes“, knurrte er schließlich, als habe er dessen Namen aus seinen Handflächen gelesen und ballte sie zu Fäusten.

„Mhmm“, stimmte ich zu, „ja, sieht ganz so aus, als steckt unser alter Freund hinter diesem unerwarteten Interesse des Militärs.“

„Ja, stimmt, der war auch da“, meinte Jojo. „Ey, wenn wir Dir helfen können, Skieve, dann musst Du es nur sagen, Mann.“

Ich wusste, dass Jojo es ernste meinte. Skieve war beliebt bei den Jungs, denn er bemühte sich jeden zu respektieren, war begabt und trotzdem nie angeberisch. Außerdem war er sehr hilfsbereit, weswegen viele ihm den ein oder anderen Gefallen schuldeten.

Er blickte auf und versuchte ein Lächeln, das ihm nur halb gelang. „Ist gut, Jojo. Danke für das Angebot.“

 

Das Nachtag-Zwielicht ging am folgenden Tag langsam zum Letzten Schimmer über und Skieve war noch nicht von seinem Gespräch mit dem Vertreter des Militärs zurück.

Ich war selber schon vor Stunden bei Vargur gewesen und hatte mich an Skieves Anweisungen gehalten. Wie erwartet hatte Levantes im Hintergrund gestanden. Der Militär-Abgesandte des Grafen hatte mir immer wieder Fragen zu Skieve gestellt und ich hatte sie so beantwortet, wie wir es besprochen hatten.

Endlich hörte ich Schritte von draußen und gleich darauf öffnete sich die Barackentür. Skieve stützte sich mit einer Hand an dem niedrigen Rahmen ab als er sich in den Raum hineinduckte. Dann ließ er sich in einen Stuhl plumpsen, grinste mich erschöpft an und sagte: „Ich glaube, ich bin raus!“ 

Es war, als fiele mir eine unsichtbare Last von den Schultern. „Er hat es geschluckt? Fantastisch! Wie hat Levantes es aufgenommen?“, wollte ich wissen.

„Zuerst sah er es gar nicht kommen. Vargur stellte die Fragen und Levantes blieb dabei im Hintergrund, genau wie bei Jojo, Gunnar und Dir.“

„Hmm, ich weiß ja nicht, was Levantes Vargur genau erzählt hat. Aber er fragte mich nach allen möglichen verschiedenen Übungen und Prüfungen. Aber ausschließlich nach solchen, die wir bei Levantes hatten. Ich nehme an, Levantes hat mich über den Klee gelobt. Ob er damit erreichen wollte, dass ich wieder unter seinem Kommando lande oder ob er mir einfach nur meine Wünsche verbauen wollte, kann ich nicht sagen. 

Da er mich aber in der Ausbildung ständig vor allen kritisiert und mir kaum eine Leistung anerkannt hat, konnte ich das gegen ihn verwenden.

Wann immer Vargur mich also nach einer Sache fragte, die ihm Levantes zweifellos schön ausgemalt hatte, drehte ich den Spieß herum. Ich stellte alles so dar, wie Levantes es seinerzeit kritisiert hatte:

Oh, ja Herr, ich erinnere mich an das Geländetraining. Herr Levantes war mit meiner Tarnung leider höchst unzufrieden. Das ist mir natürlich sehr unangenehm. Er nannte es die schlechteste Tarnung, die ihm je untergekommen war. Hundsmiserabel war das Wort, das er benutzte. Er durchschaute mein Versteck sofort. Ihr erinnert Euch gewiss noch, Herr Levantes, nicht? ‚Viel zu offensichtlich und viel zu nah am Feind‘, ´so sagtet Ihr. Und ihr habt mich in dem Glauben gelassen nicht bemerkt worden zu sein, damit ich zur Strafe in meinem kleinen Versteck ausharren musste während die anderen schon im Lager waren. Mein Freund Flemming zieht mich immer noch damit auf.

Ja, ich gebe zu, diese Art der Übungen lagen mir wenig. …

Wie ich die Preisflasche gefunden habe? Ja, Herr Vargur, ich dachte mit der Strafe von Herrn Levantes sei dies nun, äh, abgesühnt. Jemand aus meiner Sippe hatte mir mal von seinem Militärdienst und der Ausbildung bei Herrn Levantes erzählt. Daher wusste ich, wie er die Preisflasche verstecken würde. Es war natürlich unfair von mir nichts zu sagen und dieses Wissen zu nutzen. Herr Levantes durchschaute es aber und schalt mich vor den anderen Kameraden. Es war peinlich und wird mir eine Lehre sein. Noch gestern sah ich Jomander und Gunnar, die Zeugen meines unehrenhaften Verhaltens waren. …

Wie viele Strafen ich insgesamt erhalten habe? Hmm, nun, es werden so an die zwanzig bis dreißig gewesen sein. Vielleicht ein paar mehr. Ich hoffe, das macht nicht zu viel …

Zuerst hat Levantes noch bereitwillig die ‚Verfehlungen‘ eingeräumt, wegen der er mich bestraft hatte. Wahrscheinlich gefiel ihm, wie gut er in meinen Berichten dabei wegkam. Aber es dauerte nicht lange, da wurde ihm mein Vorhaben klar und ich schwöre Dir, er hätte mich am liebsten zum Schweigen gebracht. Sein Zähneknirschen klang schauerlich.“

„Hmm, aber bei so vielen Zeugen für sein ständiges Geschrei konnte er mich unmöglich als Lügner hinstellen.“

Mit einem müden Seufzer überkreuzte er die Beine in die entgegengesetzte Richtung.

„Vargur dankte mir für meinen Bericht und meine Ehrlichkeit, welche er als ‚erfrischend‘ empfand.“

„Ich fürchte jedoch, sein Interesse an meiner militärischen Karriere ist deutlich abgekühlt.“

Erleichtert nahm ich eine Flasche Wirdogh-Korn hervor, die ich für besondere Gelegenheiten aufgespart hatte. Der klare Korn gab beim Einschenken einen spezifischen Geruch von sich.

„Auf die See!“ Ich hob meinen Becher und hielt ihn Skieve hin, der mit seinem Becher anstieß.

Der salzige Nachgeschmack dieses Getränks war sein besonderes Markenzeichen. Ein Hauch von Meer.

Skieve blinzelte, als der scharfe Alkohol ihm die Augen feucht werden ließ.

„Auf die See!“ erwiderte er.

Charms:

Skieve muss zur Strafe (für irgendwas) eine Nacht in der Kälte vor der Kaserne ausharren. Embrace the Night‘s Chill, S. 140

Skieve versteckte sich bei einer Übung zu gut: Earthen Refuge (148)

Skieve hat etwas gefunden, was er nicht hätte finden sollen (Earth’s Current 150)

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