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Hamburg in den Schatten 2081

Es ist Sommer 2081 in Hamburg. Der saure Regen dampft auf dem zerbrochenen Asphalt und die verseuchte Elbe drückt in die überfluteten Kanäle der Hansestadt. Auf dem schwarzen Wasser drängeln sich Rikschas, kleine Boote und Hovertaxis. Ihre Gäste atmen die giftigen Dämpfe der toxischen See. Willkommen in Hamburg, wo man die nordische Luft als Belag in den Bronchien mit nach Hause nimmt!

In der Ferne fließt der Verkehr über die intakten Brücken und Hochstraßen, außer Reichweite des Bodensatzes der Stadt. Sein dumpfes Rauschen übertönt die Schüsse, die in der Nähe fallen. Wir sind in Harburg. im Mekka der Abgehängten unter der Herrschaft des Russen-Syndikats. In einem heruntergekommenen Wohnblock treffen sich fünf Shadowrunner.

Dies ist ihre Geschichte.

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Drifters (Vor-)Geschichte

Pendergast Reanka wurde 2053 in Strelasund im Herzogtzum Pomorya geboren. Seine Vater Tanelorn ist der Bruder der Kurfürstin Danadine Reanka, die wiederum die Mutter des aktuellen Herzogs Irion Reanka ist. Was diesen damit zu Pendergasts Cousin macht.

Die beiden waren schon früh unzertrennlich. Sie gingen zusammen zur Schule und genossen das unbeschwerte Leben, dass man als privilegierter und adeliger Elf in Pomorya führte.  Ganz im Sinne der Elfennation, so wie Lehrer und alle anderen es ihnen übermittelten, hielten sie sich für Angehörige der Herrenrasse und stellten dies niemals in Frage.

Irions ältere Schwester Ludmilla schloss sich dem Konzern Saeder-Krupp an und wurde zu Lofwyrs rechter Hand in Nordamerika. Für die Kurfürsten Pomoryas wurde sie damit jedoch zur Verräterin, sodass sie ihr die Adelsrechte entzogen. Pendergast und Irion betrachteten sie mit Entrüstung, aber auch mit Ehrfurcht, da Ludmilla der lebende Beweis dafür war, dass man sich diesem Leben entziehen konnte, wenn man den Preis dafür zu zahlen bereit war. Sie verstanden jedoch nicht, warum jemand dies tun sollte.

Im Jahr 2062, Pendergast war gerade 9 geworden, brandete die erste Surge-Welle über Pomorya hinweg. Elfen entwickelten tierische Körpermerkmale, mundane Bürger erwachten plötzlich, Menschen wuchsen Elfenohren, und aus allen Schichten und Metatypen litten einige Bürger unter üblen Haut- oder Hornmutationen. Bei den Jungen wuchs die Erkenntnis, dass man als Elf nicht gegen alles gefeit war, nicht einmal im Heiligen Land Pomorya.

Von da an entfernten die Jungen sich nach und nach von der vorherrschenden Doktrin. Über unerlaubte Kanäle gelangten sie an Erklärungsversuche aus der Außenwelt, die innerhalb Pomoryas abgelehnt und vertuscht wurden. Surge machte keine Unterschiede zwischen den Metatypen. Elfen und Menschen, Zwerge und Orks, alle wurden gleichermaßen heimgesucht. Die Sichtweise der Jungen änderte sich grundlegend, die Pendergasts weitaus drastischer als die Irions. Befeuert wurde ihr Sinneswandel noch durch die unerlaubten Kontaktaufnahmen der verbannten Schwester, die die Untersuchungen Saeder-Krupps zu dem Thema kannte und wusste, dass es ein rein magisches Phänomen war, das auf dem Vorbeiflug des Halley’schen Kometen zurückzuführen war.

Als wenige Jahre später die Wissenschaftler des Hauses Reanka dazu noch verkündeten, dass der Ursache von Surge im genetischen Code der Menschen zu suchen sei, entbrannte eine regelrechte Hexenjagd auf Menschen. Der systemische Rassismus, der in allen Elfenstaaten seit jeher etabliert ist, brach sich Bahn, und Menschen wurden gejagt, auf offener Straße getötet oder interniert.

Gleichzeitig tobte im nahen Polen ein Bürgerkrieg, vor dem unzählige Elfen nach Pomorya flohen. Pendergast und Irion erkannten die Überheblichkeit ihrer eigenen Nation. Wie konnten es sein, dass die Elfen außerhalb Pomoryas sich nicht behaupten konnten? Warum verbreitete ihre eigene Familie Lügen über die Surge-Welle? Wie konnten die ach so erhabenen und überlegenen Elfen sich in einen derart wilden und blutrünstigen Mob verwandeln, der jegliche Vernunft in den Wind schrieb?

Ludmilla war es, die ihren kleinen Bruder und dessen Cousin schließlich aufklärte. Wissen ist Macht, und Information ist eine Waffe. Den Elfen in Pomorya ist alles recht, was ihre Überlegenheit rechtfertigt, sodass sie auch weiterhin den einfachen Weg an der Spitze der Nahrungskette gehen können. Faschismus und Rassismus gehören in Pomorya zum guten Ton, und das ist schon immer so gewesen. Wenn sich dies jemals ändern soll, dann muss das System von innen heraus bekämpft werden.

Irion und Pendergast nahmen diesen Hinweis wörtlich und gründeten eine Widerstandsbewegung, welche sie, in Anlehnung an die von den Geschwister Scholl im nationalsozialistischen Deutschland gegründete Gruppe, Weiße Rose nannten. Sie verfassten Traktate und Flugblätter, in denen sie zur Anerkennung der Gleichberechtigung aller Metatypen aufriefen. Sie prangerten die Irreführung der Bevölkerung durch die großen Häuser in Bezug auf Surge an und warben für Verständnis zwischen den Völkern. Sie klagten einzelne Adelige und Würdenträger an, sich mithilfe von Unterdrückung und gezielt platzierten Fehlinformationen persönliche Vorteile verschafft zu haben. Vor allem aber forderten sie ein offenes Pomorya, welches sich dem Puls der Welt anschließen solle, um nicht zurückzubleiben.

Die Weiße Rose wuchs, und bald folgten geheime Treffen, Kundgebungen, Guerilla-Aktionen, und gezielte Sabotagen von Auftritten oder Aktionen bekannter Würdenträger, die sich, in den Augen der Weißen Rose, besonders schlimmer Vergehen schuldig gemacht hatten. Bis dahin war alles gewaltlos abgelaufen, und doch war die Weiße Rose der Regierung ein Dorn im Auge. Haus Teleam, welches für die staatliche Sicherheit Pomoryas verantwortlich ist, schrieb die unbekannten Rädelsführer der „Dissidenten“, wie man die Aufrührer nannte, zur Fahndung aus. Es gab öffentliche Kundgebungen und Aufforderungen im Staatstrid, um die Bürger Pomoryas zur Denunziation aufzufordern. Einige Verhaftungen folgten, aber die wahren Anführer der Weißen Rose blieben unbekannt.

2070 schließlich starb Irions Mutter, die Kurfürstin. An einem allergischen Schock, wie im gerichtsmedizinischen Befund festgehalten steht. Die Gelegenheit war zu gut für Ludmilla, um sie zu verstreichen lassen (falls sie nicht sogar dahinter steckte), also begann sie, sich wieder verstärkt in die Angelegenheiten der Familie Reanka einzumischen. Irion war nun der offizielle Thronfolger, aber Ludmilla die Graue Eminenz, die hinter allem steckte. Und sie war der Hebel, den Lofwyr nutzte, um Einfluss auf die Ereignisse im Pomorya zu nehmen.

Als eine geheime Zusammenkunft der Weißen Rose in Sassnitz plötzlich von der Geheimpolizei gestürmt wurde, kam es zu einem Gefecht, bei dem die Ordnungshüter über drei Dutzend Widerständler erschossen und doppelt so viele verletzten. Eine regelrechte Schlacht entbrannte, als die Weiße Rose sich verzweifelt zu wehren versuchte. Irion und Pendergast konnten fliehen, aber das Verhängnis hatte seinen Lauf genommen.

Wenige Wochen später war Ludmilla Reanka wieder auf pomoryanischem Boden angekommen. Was war geschehen? War ihr Verbanntenstatus von der Regierung aufgehoben worden? Zunächst freute Pendergast sich, sie wiederzusehen. Ihre Kälte verwirrte ihn zunächst, doch als er plötzlich von der Geheimpolizei festgenommen worden war, begann er, zu begreifen. Er war das Bauernopfer. Vor allem er als Erwachter eignete sich hervorragend als manipulativer Urheber, der seinen Cousin mit seinen Ideen und seiner Magie den Verstand vernebelt hat.

Irion besuchte ihn noch einmal, als er in Untersuchungshaft war. Er erzählte ihm, dass es Ludmilla gelungen war, einen Deal mit den Kurfürsten auszuhandeln. Er, Irion, würde zum neuen Herzog gewählt werden, sobald der jetzige abgedankt hätte, und neue Privilegien erhalten, mit derer er Pomorya in eine offene Zukunft führen könne. Bis dahin wären es nur wenige Jahre, während derer die Kurfürsten ungebremst unterdrücken, manipulieren und sich bereichern könnten, um für das neue Zeitalter einen guten Start zu haben. Lofwyr scheint den Kurfürsten etwas angeboten zu haben, das sie nicht ablehnen konnten, und das war der Preis. Irion selbst ist auch nicht glücklich damit, aber das Leid, das sie mit der Weißen Rose verursacht hatten, war es einfach nicht wert. Zu viele Tote, zu viele Schmerzen.

Alles, was die Kurfürsten für diesen Deal verlangten, war, dass der Anführer und Gründer der Weißen Rose angeklagt und angemessen bestraft würde. Er müsse nur gestehen, die Schuld auf sich nehmen und den Preis für seine Taten zahlen. Irion, der bereits gesagt hatte, dass sie beide es gewesen waren, wurde einfach ignoriert, und Ludmilla und die Kurfürsten hatten entschieden, dass Pendergast geopfert werden würde. Pendergast konnte Irion ansehen, dass er es hasste, bei dieser „Lösung“ mitzumachen, aber die Gewalt und ihre toten Genossen hatten ihn verzweifeln lassen. Hatten ihn gebrochen. Aber Verrat war es trotzdem. Als er ging, weinte Irion.

Man machte Pendergast klar, dass er der Maximalstrafe nur entgehen konnte, wenn er gestand. Gleichzeitig zögerten die Offiziellen wohl, einen Angehörigen des Hauses Reanka zu verurteilen, da der Namen einiges Gewicht besaß. Sie wollten sein Geständnis und ihn brechen. So verbrachte er über ein Jahr in Untersuchungshaft. In dieser Zeit verfasste er das „Manifest eines modernen Pomoryas“, seine Anklage an die Elfen Pomoryas und gleichzeitig Vision eines offenen und modernen Elfenstaates. Dieses Manifest schmuggelte er mithilfe eines Sympathisanten heraus, sodass es gedruckt und verteilt werden konnte.

Natürlich geriet es in Regierungshände, sodass diese Maßnahmen ergreifen und ihn nun endlich aus der U-Haft holte und in ein Strafverfahren stecken wollte. Während des Transports aus der JVA Sassnitz zum Gericht wurde der Gefangenentransporter von Angehörigen der Weißen Rose abgefangen und Pendergast befreit. Die Genossen brachten ihn in die kleine Hafenstadt Glowe, wo sie ihn an Bord eines Piratenboots brachten. Mit diesen gelangte Pendergast schließlich nach Hamburg, wo er untertauchte.

Sein Verschwinden beschäftigte einige Wochen lang die pomoryanischen Medien, aber dann kehrte Ruhe ein. Der Schock des Verrats sitzt jedoch tief, und auch die Situation, in der er seine Mitverschwörer zurücklassen musste, schmerzt. Aber am schlimmsten ist der Bruch mit seinem Kindheitsfreund Irion, der ihn einfach geopfert hat, um irgendwann in ferner Zukunft eine theoretische Chance zu haben, ihrer beider Träume von einem neuen Pomorya umsetzen zu können.

Und Ludmilla, diese Schlange.

Aber Hass, Schmerz und Schuldgefühle sind keine guten Begleiter. Zum Glück gibt es Substanzen, die den Geist betäuben und das Leben erträglich machen.

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